Alle Beiträge von sgarbade

Projekt: Integrationsbegleiterinnen in Kitas

| Franziska Eisenhuth und Maria Günther-Decuns |

Integrationsbegleiterinnen unterstützen Kitas in Zeiten des Fachkräftemangels und fördern Integration. Sie kümmern sich gezielt um eingewanderte Kinder und Familien und geben ihnen die benötigte Hilfe. So können sich Erzieher*innen besser auf ihre pädagogische Arbeit konzentrieren.

Innerhalb von sieben Monaten werden die Integrationsbegleiterinnen in einer Schulung auf die Arbeit in Kitas vorbereitet. Unser Projektteam berät Kommunen in NRW dazu, wie sie die Schulung am besten umsetzen und anbieten können. Gefördert wird das Projekt durch das Familienministerium NRW und die Auridis Stiftung.

Was war unsere Idee? Was war der Ausgangspunkt?

Die AWO OWL mit Sitz in Bielefeld hat über 100 Kindertageseinrichtungen in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL). Mit all ihren unterschiedlichen Diensten gehört sie zu den größten Arbeitgebern der Region im Sozialwesen. Ab 2015 kamen viele geflüchtete Kinder in den Einrichtungen an. Die Kitas der AWO OWL berichteten, dass sie dadurch einen hohen Unterstützungsbedarf haben. Wenn ein Kind erst seit Kurzem in Deutschland lebt und hier zum ersten Mal eine Kita besucht, begegnet es Herausforderungen. Die Familien kennen die deutschen Systeme noch nicht. Es gibt viele Bedingungen und Regeln im Zusammenhang mit einem Kitabesuch. Hinzu kommen häufig Sprachbarrieren. Dies erschwert den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu den Fachkräften, die die Grundlage für eine pädagogische Arbeit ist.

Die AWO OWL ist bekannt dafür, neue Kitakonzepte zu entwickeln, und stellte sich der Herausforderung. Die Leitfrage lautete: Wie kann das Ankommen von eingewanderten Kindern und Familien in den Kitas besser unterstützt und wie gleichzeitig das Kita-Personal entlastet werden? Schnell wurde klar, Menschen mit Integrationserfahrung haben selbst die Erfahrung gemacht, wie es ist, sich in der deutschen Kultur und Gesellschaft einzufinden. Das Projekt der „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ wurde aufgrund dieser Entwicklungen gegründet.  Mit ihren Sprachkenntnissen und ihrem kulturellen Wissen stehen Integrationsbegleiterinnen sowohl Familien als auch Fachkräften zur Seite. Sie übersetzen z.B. bei einem Elterngespräch oder erklären anderen Familien, warum bestimmte Bedingungen, wie z.B. eine Masernimpfung, erfüllt sein müssen.

Abbildung 1: „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ (eigene Darstellung)

Wie wurde die Idee umgesetzt?

Als erster Schritt erstellte die AWO OWL ein Konzept, wie eingewanderte Frauen im Rahmen einer Schulung auf die Arbeit in Kitas vorbereitet werden können. Frauen übernehmen nach wie vor die Care-Arbeit der eigenen Kinder. Dadurch haben sie weniger Chancen, sich beruflich zu betätigen. Das Aufgabenfeld einer Integrationsbegleiterin umfasst je nach Eignung und Interesse:

  • Begleitung von Kindern im pädagogischen Alltag
  • Kommunikationshilfe zwischen Fachkräften und geflüchteten und migrierten Kindern bzw. Eltern mit Unterstützungsbedarf
  • Interkulturelle Vermittlung
  • Durchführung niedrigschwelliger Angebote, z. B. Basteln, Backen, Turnen oder Vorlesen in der eigenen Muttersprache
  • Unterstützung bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten

Die Schulung geht über sieben Monate. Die ersten zwei Monate beschäftigen sich mit den theoretischen Grundlagen der Kita-Arbeit. Danach schließen sich zu der Theorie wöchentliche Hospitationen in einer Kita für zwei Monate an. In den letzten drei Monaten absolvieren die Teilnehmerinnen ein Praktikum in einer Kita. Pro Schulungsrunde nehmen 14 – 25 Frauen teil.

Um die Schulung so niedrigschwellig wie möglich zu halten, gibt es nur wenige Anforderungen:

  1. Integrationserfahrung durch Migration oder Flucht
  2. Mündliche Deutschkenntnisse, die eine Verständigung im Alltag ermöglichen. Es wird kein spezielles Deutschzertifikat gefordert.
  3. Interesse und Eignung für die Arbeit mit Kindern

Die erste Erprobung einer Schulungsrunde fand 2017 in den Kitas der AWO OWL statt. Im Jahr darauf wurde die Schulung für alle Träger in der Region geöffnet. 2019 erteilten das Familienministerium NRW und die Auridis Stiftung den Auftrag, die Schulung in NRW zu verbreiten. Seitdem berät und begleitet das Projektteam der AWO OWL Kommunen, um die Schulung vor Ort zu implementieren und durchzuführen. Zu den relevanten Akteur*innen gehören Kitaträger, Bildungsträger sowie Jobcenter und Agenturen für Arbeit. Letztere finanzieren den Teilnehmerinnen die Schulung durch einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein. Idealerweise kommt es zu einer Anstellung nach der Schulung. Die Arbeitszeit einer Integrationsbegleiterin wird mit dem Träger je nach Bedarf individuell vereinbart. In den meisten Fällen arbeitet sie 20 Stunden in der Woche. Aber auch Vollzeit ist möglich, oder dass eine Integrationsbegleiterin zwischen zwei oder drei Kitas pendelt.

Die Aufgaben richten sich auch wie in der Schulung nach der Eignung der Integrationsbegleiterin und dem Bedarf der Kita. Grundsätzlich gilt, dass eine Integrationsbegleiterin im allgemeinen Kitabetrieb die gesamte Gruppe unterstützt. Dazu gehört u. a. den Kindern zu helfen beim Umziehen, beim Spielen begleiten oder eigene Spiel- bzw. Kreativangebote machen. Eine Integrationsbegleiterin hat keine Aufsichtspflicht und arbeitet immer unter Anleitung einer Fachkraft. Individuelle Aufgaben ergeben sich aus den Bedürfnissen einzelner Kinder oder Eltern. Wenn ein Kind noch kein Deutsch kann, kann die Integrationsbegleiterin in der Erstsprache die Eingewöhnung in der Kita begleiten. Bei Elterngesprächen mit Kita-Fachkräften hilft die Integrationsbegleiterin durch Sprachmittlung. Themen umfassen die kindliche Entwicklung sowie alltägliche Dinge wie das Erklären einer „Matschhose“. Darüber hinaus kann die Integrationsbegleiterin Formulare für Transferleistungen übersetzen.

Im Gruppenkontext leistet die Integrationsbegleiterin spielerisch Kulturvermittlung. Sie liest oder singt z. B. in ihrer Herkunftssprache vor. Auch wenn nicht alle Kinder die einzelnen Wörter verstehen, spüren sie die Einzigartigkeit einer Sprache durch Klang, Rhythmus und Intonation. Des Weiteren können alle gemeinsame landestypische Gerichte zubereiten und erfahren so etwas über die Bräuche einer anderen Kultur. Unabhängig davon, ob eine Integrationsbegleiterin dieselbe Herkunft hat oder dieselbe Sprache spricht wie die eingewanderten Kinder und Familien, kann sie eine Identifikationsfigur für alle mit Migrationshintergrund darstellen. Es gibt den Familien ein Gefühl von Sicherheit und des Willkommenseins, wenn Teammitglieder der Kita ähnliche Erfahrungen wie sie im Rahmen ihres Ankommens in Deutschland erlebt haben.

Was war das Ergebnis? Wie war die Resonanz?

Eine externe Evaluation durch Interval bestätigt, dass Integrationsbegleiterinnen eine Bereicherung sowohl für zugewanderte Kinder und ihre Familien als auch Fachkräfte in den Einrichtungen sind. Die befragten Integrationsbegleiterinnen beobachteten positive Veränderungen bei den Kindern, die sie auf ihre Arbeit zurückführten: Die Kinder wurden als sicherer, offener und vertrauensvoller als zu Beginn ihres Einsatzes in den Kitas beschrieben. Die Nutzung der eigenen Erstsprache durch die Integrationsbegleiterin erleben die Kinder aus Sicht befragter Eltern, Einrichtungsleitungen und Integrationsbegleiterinnen als positiv und vertrauensbildend. Eine Integrationsbegleiterin berichtet z. B.: „Ja, wenn ich mit einem Kind auf meine Sprache gesprochen habe. Das Kind wird offener, hat Vertrauen, hat Spaß beim Spielen, Essen, Singen, Tanzen und Schlafen.“ Eine andere schreibt: „Ich bemerkte die Freude und das Vertrauen der Kinder, eine Situation in ihrer Muttersprache zu erklären.“

Vonseiten der Fachkräfte kommen immer wieder persönliche Rückmeldungen aus den Kitas, dass Integrationsbegleiterinnen insbesondere im Bereich der Sprachmittlung eine große Hilfe sind. Eingewanderte Kinder und Familien fühlen sich wohler und können besser in die Angebote der Kita einbezogen werden.

Knapp 66 Prozent der Teilnehmerinnen finden direkt eine Anstellung nach der Schulung. Womit niemand gerechnet hat: 10 Prozent der Teilnehmerinnen der Schulungsrunden in OWL gehen nach der Schulung in die Ausbildung als Erzieherin oder Kinderpflegerin. Weitere 12 Prozent planen eine Ausbildung. Sie müssen evtl. noch Abschlüsse nachholen bzw. anerkennen lassen oder warten, bis ihre eigenen Kinder größer sind. Dadurch unterstützt diese Schulung nicht nur im Kita-Alltag, sondern sie leistet auch einen Beitrag für die langfristige Gewinnung von weiteren Fachkräften. Seit 2023 sind die Integrationsbegleiterinnen Teil des Sofortprogramm Kita der Landesregierung NRW, um dem Fachkräftemangel in Kitas besser zu begegnen. Ein Monitoring soll ab 2024 den mittel- und langfristigen beruflichen Verbleib von den Integrationsbegleiterinnen erfassen.

Was kann das für Forschung und Praxis bedeuten?

Kinder sind mit Blick auf ganz unterschiedliche Differenzlinien vielfältig und Kindertageseinrichtungen müssen dieser Vielfalt Rechnung tragen. Dabei lässt sich Diversität nur begrenzt in einem Workshop lernen. Wenn Menschen mit diversen Lebensläufen Eingang in die Kitateams finden, wird Diversität gelebt. Dafür braucht es eine Offenheit aller Fachkräfte. Natürlich sind Zahlen und Statistiken maßgeblich, um den Erfolg eines Projektes zu messen. Nichtsdestotrotz lässt sich nicht alles quantifizieren. Von Migrant*innen wird in Deutschland erwartet, dass sie sich so schnell wie möglich integrieren. Häufig wird damit aber eine Anpassung an das deutsche System gemeint. Der eigene Erfahrungsschatz aus dem Herkunftsland spielt meist keine Rolle mehr. Das Besondere am Projekt „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ ist, dass die Teilnehmerinnen aus ihrer eigenen Integrationserfahrung schöpfen können. Sie können daher auf besondere Weise vermitteln und erhalten dafür Wertschätzung. Diese Erfahrung und Kompetenzen fehlen häufig nicht migrierten Fachkräften trotz bester Absichten. Auch einheimische Kinder müssen lernen, sich auf Vielfalt einzustellen. Daher profitieren durch die Kulturvermittlung der Integrationsbegleiterin alle Kinder – mit oder ohne Migrationshintergrund.

Projektwebsite: AWO OWL | Integrationsbegleiterinnen in KiTas (integrationsbegleiterinnen-in-kitas.de)

Inklusive Praxis in der Kita – Vorstellung von Lehr- und Lernmaterialien für die Kindheitspädagogik

| Anja Stolakis, Jörn Borke, Annette Schmitt, Sven Hohmann, Eric Simon, Matthias Morfeld, Elena Sterdt |

Inklusive Bildung und die daraus entstehenden Aufgaben stellen komplexe Anforderungen an Fachkräfte im frühpädagogischen Feld. Der Diskurs zum Thema Inklusion wurde in der Frühpädagogik vor allem durch die Resolution der Deutschen UNESCO Kommission (DUK, 2009) „Frühkindliche Bildung inklusiv gestalten“ sowie durch die im gleichen Jahr ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention vorangetrieben (Prengel, 2014). Für die frühpädagogische Praxis resultiert daraus die Anforderung, gleichberechtigte und barrierefreie Lernprozesse zu fördern. Dies setzt eine hohe pädagogische Qualität in den Kitas voraus (Schelle & Friederich, 2015). Eine angemessene Qualifizierung frühpädagogischer Fachkräfte durch Aus-, Fort- und Weiterbildung ist dafür maßgeblich.

Darüber hinaus kommen Expertisen zu dem Schluss, dass Inklusion als integraler Bestandteil in Studienangeboten zur Pädagogik der frühen Kindheit verankert sein sollte (Albers, 2011; Heimlich, 2013; Viernickel et al., 2011). Doch insbesondere in den akademischen Ausbildungsgängen sind die Inhalte einer inklusiven Bildung nur in geringem Umfang systematisch in Studiengängen der Frühpädagogik enthalten. Die etwa 100 frühpädagogischen Studiengänge in Deutschland befassen sich zumeist nur rudimentär mit Aspekten einer inklusiven Bildung. Es besteht ein erheblicher Bedarf an wissenschaftlich fundierten Ausbildungsmaterialien (Heimlich, 2013). Studiengangskonzepte sollten zudem den Ansatz der Inklusion nicht ausschließlich in modularisierter Form behandeln, sondern in allen Modulen als Querschnittaufgabe einbeziehen (Albers, 2011; Lingenauber, 2010; Thalheim & Jerg, 2012).

Die erfolgreiche Umsetzung inklusiver Bildung in Kindertageseinrichtungen wird maßgeblich durch die Haltung der frühpädagogischen Fachkräfte beeinflusst (Berry, 2010; Lieber et al., 1998; Mulvihill et al., 2002; Taylor & Ringlaben, 2012). Sie wurde als relevante Gelingensbedingung bei der Implementierung von Inklusion im vorschulischen Bereich identifiziert (Bricker, 2000; Cross et al., 2004). Die professionelle Haltung bildet als kontinuierlich zu entwickelnde Kernkompetenz eine Basis der anderen Handlungsfelder. Sie bezieht sich einerseits auf ein handlungsleitendes professionelles Rollen- und Selbstverständnis, andererseits auf die sich beständig weiterentwickelnde Persönlichkeit der pädagogischen Fachkraft, die durch biografische Selbstreflexion sowie durch die Fähigkeit zur systematischen und methodisch fundierten Reflexion pädagogischer Handlungspraxis im Prozess der Ausbildung entwickelt und gefestigt wird (Robert-Bosch-Stiftung, 2011).

Was will das Projekt?

Das Forschungsprojekt Inklusive Kindheitspädagogik als Querschnittsthema in der Lehre (InQTheL) wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der BMBF-Förderrichtlinie „Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung“ gefördert (FKZ: 01NV1719; Laufzeit: Februar 2018 bis April 2021). Ziel des Projekts InQTheL war die Entwicklung und Bereitstellung von empirisch fundierten Lehr- und Lernmaterialien für Lehrende im Bereich der Frühpädagogik zum Thema Inklusion[1] sowie deren Implementierung und formative Evaluation. Die Lehr- und Lernmaterialien sollen dazu beitragen, inklusive Bildungsprozesse in Kitas durch eine Ausweitung des Themenbereiches inklusive Bildung in früh- und kindheitspädagogischen Studiengängen zu fördern. Das Themenfeld Inklusion wird dabei als Querschnittsaufgabe verstanden und in den verschiedenen Lehrbereichen in kindheits-/frühpädagogischen Studiengängen, also nicht nur in einem abgrenzbaren Modul Inklusion, aufgegriffen (Albers, 2011). Somit werden die verschiedenen relevanten Ebenen einer inklusiven Bildung berücksichtigt (Prengel, 2014). Um eine enge Theorie-Praxis-Verzahnung zu gewährleisten, wurden die Good-Practice-Beispiele gemeinsam mit Kindertageseinrichtungen erarbeitet, die als besonders beispielhaft hinsichtlich einer gelungenen inklusiven Praxis identifiziert wurden.

Primäre Zielgruppe der Lehrmaterialien sind Lehrpersonen in grundständigen und berufsintegrierenden Studiengängen der Kindheitspädagogik sowie themenverwandten Studiengängen an deutschsprachigen Hochschulen. Ferner können Fachschulen die Lehrmaterialien im Rahmen von Ausbildungsgängen zum/r staatlich anerkannten Erzieher*in einsetzen. Ebenfalls denkbar ist der Einsatz im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsangeboten, etwa von Fachberater*innen oder Kitaleitungen.

Wie sind wir vorgegangen?

Das Vorhaben wurde mittels eines mehrstufigen Mixed-Methods-Design umgesetzt. Neben einer systematischen Literaturrecherche wurden quantitative und qualitative Methoden verwendet, um die komplexen multikausalen Gelingensbedingungen einer inklusiven Praxis zu erfassen. Das Vorhaben gliederte sich dabei in folgende aufeinander aufbauende Projektphasen:

a) Erstellung eines integrativen Reviews zum (internationalen) Forschungsstand zu den Gelingensbedingungen und Bedarfen einer inklusiven frühpädagogischen Praxis

b) Bestandsaufnahme und Analyse von Gelingensbedingungen und Bedarfen einer inklusiven frühpädagogischen Praxis in den Kitas Sachsen-Anhalts

c) Entwicklung von Good-Practice-Beispielen und Erstellung der Lehrmaterialien

d) Formative Evaluation und Dissemination

Die Forschungserkenntnisse zu den Gelingensbedingungen und Bedarfen bildeten das Fundament für die Entwicklung der Lehr- und Lernmaterialien (Stolakis, Simon, Hohmann, Sterdt, Morfeld, Borke & Schmitt, 2023). Neben einer theoretischen Einbettung des Themenfeldes Inklusion und Behinderung und der Vorstellung des Forschungsprojekts umfasst der Hauptteil die Lehr- und Lernmaterialien mit den dazugehörigen Good-Practice-Beispielen. Um Inklusion als Querschnittsthema zu behandeln, gliedert sich das entwickelte Material in Handlungsfelder, die sich an den von der Robert-Bosch-Stiftung herausgegebenen Qualifikationsprofilen an Arbeitsfeldern der frühen Kindheit orientieren (Robert-Bosch-Stiftung, 2011). Hier werden die zentralen beruflichen Handlungsfelder für frühpädagogische Fachkräfte dargestellt:

  • Handlungsfeld 1 – Professionelle Haltung
  • Handlungsfeld 2 – Arbeit mit Kindern
  • Handlungsfeld 3 – Elternarbeit
  • Handlungsfeld 4 – Organisation und Management
  • Handlungsfeld 5 – Zusammenarbeit mit anderen Professionen, Kooperationen und Vernetzung im Sozialraum
  • Handlungsfeld 6 – Wissenschaft und Forschung.

Zu jedem einzelnen Handlungsfeld wird einleitend der Forschungsstand dargestellt, welcher Erkenntnisse zu den Gelingensbedingungen für eine inklusive Kindheitspädagogik, die im Rahmen des Forschungsprojekts InQTheL erhoben wurden, beinhaltet. Kernstück der Lehr- und Lernmaterialien sind die Good-Practice-Beispiele in Form von 97 Video- oder Audioaufnahmen und/oder schriftlichen Materialien wie Ausschnitten aus Expert*inneninterviews, Ergebnisse von Gruppendiskussionen oder verschriftlichte Fallbesprechungen. Alle Materialien sind online abrufbar. Begleitet werden sie durch schriftliche Situationsbeschreibungen, die gesammelt in der o.g. Publikation enthalten sind. Sie führen in das Material ein und bieten erste Vorschläge zur Einbindung der Materialien in die Lehre sowie Reflexionsansätze. Mit Hilfe der Verschriftlichung lassen sich die einzelnen Situationen im Hinblick auf eine inklusive Bildung und Betreuung kritisch reflektieren.

Ergebnisse in Bezug auf die inklusive Haltung von Fachkräften

Exemplarisch soll das Handlungsfeld 1 – Professionelle Haltung herausgegriffen werden. Bei den Lehrmaterialien dieses Kapitels handelt es sich vorrangig um Ergebnisse aus den verschiedenen Erhebungsphasen des Projekts InQTheL. Ergänzt werden diese durch zwei Praxisbeispiele aus den Kitas.

Theorieimpulse und Projektergebnisse zum Thema Inklusive Haltung

Die Theorieimpulse und Projektergebnisse bilden das Kernstück dieses Kapitels und sollen in diesem Beitrag vorgestellt werden. Das Material enthält einen Foliensatz in Form einer PowerPoint-Präsentation zum Thema Inklusive Haltung.

Dieser beinhaltet die folgenden thematischen Bereiche:

  • Theorieinput zum Behinderungsbegriff und zum Inklusionsdiskurs
  • Präsentation der Projektergebnisse des InQTheL-Projektes zum Thema Inklusive Haltung
  • Diskussion im Plenum mit der Methode Focusgroup Illustration Map
  • Präsentation der Ergebnisse eines Expert*innenforums
  • Ergebnisse von Expert*inneninterviews

Der Foliensatz kann durch Lehrende in die eigenen Lehrveranstaltungen integriert werden. Einerseits können einzelne Folien zu den Theorieimpulsen oder den Ergebnissen für eigene Lehrinhalte genutzt werden, um sie tiefgreifender zu diskutieren. Hier liegt das Potenzial darin, dass einzelne Aspekte vertieft werden können. Andererseits können die Folien auch gemeinsam genutzt werden, um über das Themenfeld Inklusive pädagogische Orientierung im Allgemeinen zu sprechen. Die Materialien sollen eine vertiefte Reflexion mit dem Thema inklusive Haltung unterstützen.

Der Theorieinput zum Behinderungsbegriff und zum Inklusionsdiskurs umfasst im Wesentlichen historische Aspekte beider Begriffe. Dadurch lässt sich verdeutlichen, dass die Definition von Behinderung nicht konstant ist, sondern sich fortwährend wandelt von einem eher personenorientierten über ein soziales bis hin zu einem eher kulturellen Verständnis. In diesem Zuge hat sich auch der pädagogische Umgang mit Behinderung verändert von der Exklusion und Segregation hin zu Integration und Inklusion. Dieser Theorieinput lässt sich nutzen, um mit Studierenden in das Thema einzusteigen.

Darauf aufbauend können die Ergebnisse aus der Literaturrecherche und der Bestandsaufnahme in Sachsen-Anhalt des InQTheL-Projekts einbezogen werden. Insbesondere werden hier Spannungsfelder bezüglich einer inklusiven Haltung aufgezeigt und die Ergebnisse unter diesen Gesichtspunkten präsentiert. So zeigen die Ergebnisse, dass Inklusion auf einer rechtlichen Ebene und auf der Ebene von Outcomes (positive Auswirkung auf soziale Kompetenzen) zwar einerseits befürwortet (Lieber et al., 1998; Nonis et al., 2016), auf einer konkreten, handlungspraktischen Ebene hingegen eher mit Skepsis betrachtet werden (Bruns & Mogharreban, 2007). Diese Ergebnisse ließen sich sowohl im internationalen Forschungsstand als auch in der Bestandsaufnahme finden. Diskrepanzen wurden auch in Bezug auf das Inklusionsverständnis deutlich. So wird Inklusion einerseits als Möglichkeit betrachtet, Barrieren in der Institution im Allgemeinen zu identifizieren und zu bearbeiten, dennoch wird mehrheitlich der Aussage zugestimmt, dass Inklusion bedeutet, Kinder mit Behinderung bei der Überwindung individueller Hürden zu unterstützen. Begrifflich kommt das eher dem klassischen Förderverständnis gleich, bei welchem die Intervention am Kind und nicht die Unterstützung von Teilhabe im Vordergrund steht (Fyssa et al., 2014, Knauf & Graffe, 2016). Dieses Ergebnis fand sich ebenfalls in beiden Forschungsschritten. Gleichzeitig zeigen sich sowohl im internationalen Forschungsstand als auch in der Bestandsaufnahme in Sachsen-Anhalt Tendenzen von Zuschreibungen. So werden mit Behinderung eine höhere Bedürftigkeit sowie starke Abweichungen im Verhalten assoziiert (Alexander et al., 2016; Dimitrova-Radojichikj et al., 2016). Die Bestandsaufnahme konnte zudem zeigen, dass die Einstellung zur Umsetzung von Inklusion uneinheitlich ist. So wird zwar die inklusive Betreuung von Kindern mit Behinderung befürwortet, gleichzeitig geben die Einrichtungen aber an, dass für die Betreuung speziell ausgebildete Fachkräfte erforderlich sind und pädagogische Fachkräfte aus Regeleinrichtungen den Bedürfnissen dieser Kinder keinesfalls gerecht werden können.

Diese Projektergebnisse bieten sich als Impuls für eine nachfolgende Diskussion an. Sie können zum Anlass genommen werden, um über den Begriff Inklusion ins Gespräch zu kommen, was dieser für jede*n einzelne*n bedeutet und welche Implikationen sich für das pädagogische Handeln ergeben. Die Diskrepanz zwischen einer positiven Grundeinstellung einerseits und Zweifel bei der Umsetzung in der pädagogischen Praxis andererseits kann zudem genutzt werden, um mit Studierenden über ihre eigenen Wertvorstellungen, aber auch über Unsicherheiten und Ängste bzgl. einer inklusiven Bildung und Betreuung ins Gespräch zu kommen. So kann ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche Kompetenzen es braucht, um Handlungssicherheit zu erlangen, so dass sich diese gezielter ausbauen lassen. An die Ergebnisse anknüpfend könnte aber auch über stereotype Vorstellungen über Menschen mit Behinderungen gesprochen werden und darüber, was es braucht, um diese abzubauen. Dabei können Aspekte, wie bspw. Behinderungsbegriff und -verständnis vertieft werden.

Um eine Auseinandersetzung mit den genannten Spannungsfeldern anzuregen, werden im Lehrmaterial eine Reihe von Reflexionsfragen zur Verfügung gestellt. Zudem können die weiteren Folien des Foliensatzes als Vergleichshorizont für die Diskussion genutzt werden. Sie enthalten Ergebnisse einer Gruppendiskussion, eines Expert*innenforums und Zitate von Expert*inneninterview mit Kita-Leitungen und Fachkräften. Die Ergebnisse des Expert*innenforums, zeigen bspw., dass hier darüber diskutiert wurde, wie eine inklusive Haltung entwickelt und gefördert werden kann. Hier wurde insbesondere ein möglichst früher Praxisbezug in der Ausbildung und dabei auch eine Begegnung mit verschiedenen Heterogenitätsdimensionen (in Form von Selbsterfahrung) als förderlich hervorgehoben, um stereotype Vorstellungen abbauen zu können. Weiter wurde betont, dass die Arbeit mit Fallbeispielen dazu beitragen kann, Handlungssicherheit herzustellen.  Dies sind nur Beispiele und womöglich können Studierende durch die Auseinandersetzung und Reflexion dazu angeregt werden, selbst Ideen darüber zu entwickeln, was sie brauchen, um sich auf eine inklusive Praxis gut vorbereitet zu fühlen.

Was kann das für die Praxis bedeuten?

Die Qualifizierung des (zukünftigen) Fachpersonals ist von entscheidender Bedeutung, um inklusive Bildungsprozesse zu fördern. Die Reflexion wesentlicher Einflussfaktoren, welche die eigenen Denk- und Handlungsweisen ursächlich prägen, können dazu beitragen, fehlende Kompetenzen, Leerstellen o.ä. zu erkennen. Diese können dann anhand der eigenen Normen und Werte abgeglichen und integriert werden, um ein selbstsicheres, situationsübergreifend kontextsensibles und kohärentes Handeln zu ermöglichen (Kuhl, Schwer & Solzbacher, 2014). Durch die Unterstützung systematischer und methodisch fundierter Reflexionsprozesse kann sich eine inklusive Haltung herausbilden und festigen. Dafür erscheinen die entwickelten Lehr- und Lernmaterialien besonders geeignet, da sie die selbstständige Auseinandersetzung mit Lerninhalten fördern und zu einer gezielten Diskussion und Reflexion anregen. Zugleich wird eine Verbindung von Theorie und Praxis ermöglicht, die in ein kritisches, analytisches Verhältnis zueinander gesetzt werden können.

Ziel jeglicher akademischen Ausbildung ist die Herausbildung eines kritischen, fachbezogenen Denkens. Dafür ist eine verstärkte Studierendenzentrierung in der Lehre grundlegend (Messner, 2016). Studierende als Lernende sollten sukzessiv in die Lage versetzt werden, Lerninhalte eigenständig zu bearbeiten. Good-Practice-Beispiele bieten den Vorteil einer geringeren Abstraktion, sodass die Studierenden selbstständig Vorstellungen darüber entwickeln können, was Dimensionen einer inklusiven Praxis sein können. Die Notwendigkeit solcher Materialien wurde in verschiedenen Formaten, in denen sie vorgestellt wurden, deutlich. Zudem konnten erste Einsätze in Lehrveranstaltungen zeigen, dass sie vielfältige Anlässe zur Auseinandersetzung mit Inklusion innerhalb der verschiedenen Handlungsfelder bieten.

Zugang zu den Lehrmaterialien:

Stolakis, A., Simon, E., Hohmann, S., Sterdt, E., Morfeld, M., Borke, J. & Schmitt, A. (2023). Inklusive Praxis in der Kita: Lehr- und Lernmaterialien für die Kindheitspädagogik. Beltz Juventa.

Das gesamte Arbeitsmaterial wird online zur Verfügung gestellt unter: https://www.beltz.de/fach- medien/sozialpaedagogik_soziale_arbeit/produkte/details/46373-inklusive-praxis-in-der-kita.html bzw. auf der Produktseite zum Buch auf www.beltz.de. Hier geht es zum Kompetenzzentrum Frühe Bildung der Hochschule Magdeburg Stendal.

Literatur

Albers, T. (2011). Inklusion in den frühpädagogischen Studiengängen. Zeitschrift für Inklusion, 5(3).

Alexander, S. T., Brody, D. L., Muller, M., Gor Ziv, H., Achituv, S., Gorsetman, C. R., Harris, J., Tal, C., Goodman, R., Schein, D., Vogelstein, I. & Miller, L. (2016). Voices of american and israeli early childhood educators on inclusion. International Journal of Early Childhood Special Education, 8(1), 16–38.

Berry, R. (2010). Preservice and early career teachers’ attitudes toward inclusion, instructional accommodations, and fairness: three profiles. The teacher educator, 45(2), 75–95.

Bricker, D. (2000). Inclusion: How the Scene Has Changed. Topics in Early Childhood Special Education, 20(1), 14–19.

Bruns, D. A. & Mogharreban, C. C. (2007). The gap between beliefs and practices: early childhood practitioners’ perceptions about inclusion. Journal of Research in Childhood Education, 21(3), 229–241.

Cross, A. F., Traub, E. K., Hutter-Pishgahi, L. & Shelton, G. (2004). Elements for successful inclusion for children with significant disabilities. Topics in Early Childhood Special Education, 24(3), 169–183.

Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) (2009). Frühkindliche Bildung inklusiv gestalten: Chancengleichheit und Qualität sichern. https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-05/2009_Fruehkindliche_Bildung_inklusiv_gestalten.pdf

Dimitrova-Radojichikj, D., Chichevska-Jovanova, N. & Rashikj-Canevska, N. (2016). Attitudes of the macedonian preschool teachers toward students with disabilities. Alberta Journal of Education Research, 62(2), 184–198.

Fyssa, A., Vlachou, A. & Avramidis, E. (2014). Early childhood teachers’ understanding of inclusive education and associated practices: reflections from greece. International Journal of Early Years Education, 22(2), 223–237.

Heimlich, U. (2013). Ausbildung und Professionalisierung von Fachkräften für inklusive Bildung im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. In H. Döbert & H. Weishaupt (Hrsg.), Inklusive Bildung professionell gestalten – Situationsanalyse und Handlungsempfehlungen (S. 11–32). Waxmann.

Kuhl, J., Schwer, C. & Solzbacher, C. (2014). Professionelle pädagogische Haltung: Ver- such einer Definition des Begriffes und aus- gewählte Konsequenzen für Haltung. In C. Schwer & C. Solzbacher (Hrsg.), Professio- nelle pädagogische Haltung (107–120). Ver- lag Julius Klinkhardt.

Lingenauber, S. (2010). Integrative Elementarpädagogik und das Menschenbild der Reggio-Pädagogik. Gemeinsam leben, Zeitschrift für integrative Erziehung, 4, 165–168.

Lieber, J., Capell, K., Sandall, S. R., Wolf- berg, P., Horn, E., & Beckman, P. (1998). In- clusive preschool programs: Teachers’ be- liefs and practices. Early Childhood Research Quarterly, 13 (1), 87-105.

Messner, E. (2016). Hochschuldidaktische Herausforderungen zwischen Bologna und Humboldt. In Steirische Hochschul- konferenz (Hrsg.), Qualität in Studium und Lehre: Kompetenz- und Wissensmanagement im steirischen Hochschulraum (S. 5–7). Springer VS.

Mulvihill, B. A., Shearer, D. & Van Horn, M. L. (2002). Training, experience, and child care providers perceptions of inclusion. Early Childhood Research Quarterly, 17(2), 197–215.

Nonis, K., Chong, W. H., Moore, D. W., Thang, H. N., Koh, P. & Tang, H. N. et al. (2016). Pre-school teacher’s attitudes towards inclusion of children with developmental needs in kindergartens in Singapore. International Journal of Special Education, 31(3).

Prengel, A. (2014). Inklusion in der Frühpädagogik: Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen (2. Aufl.). Deutsches Jugendinstitut (DJI).

Robert-Bosch-Stiftung. (2011). Qualifikationsprofile in Arbeitsfeldern der Pädagogik der Kindheit Ausbildungswege im Überblick. https://www.bvktp.de/media/pik_qualifikationsprofile_1_.pdf

Schelle, R. & Friedrich, T. (2015). Weiterentwicklung pädagogischer Qualität durch inklusive Frühpädagogik: Eine Analyse der Schlüsselprozesse in Kitas. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 10(1), 67–80.

Stolakis, A., Simon, E., Hohmann, S., Sterdt, E., Morfeld, M., Borke, J. & Schmitt, A. (2023). Inklusive Praxis in der Kita: Lehr- und Lernmaterialien für die Kindheitspädagogik. Beltz Juventa.

Taylor, R. W. & Ringlaben, R. P. (2012). Impacting Pre-service Teachers’ Attitudes toward Inclusion. Higher Education Stu- dies, 2(3), 16–23.

Thalheim, S. & Jerg, J. (2012). Vernetzung und Förderung der Inklusionsorientierung von Forschung, Lehre und Praxisent- wicklung in Studiengängen der Frühpädagogik/frühkindlichen Bildung. In S. Simone, N.-K. Finnern, N. Korff & K. Scheidt (Hrsg.), Inklusiv gleich gerecht? Inklusion und Bildungsgerechtigkeit (S. 148–153). Klinkhardt.

Viernickel, S., Nentwig-Gesemann, I., Harms, H., Richter, S. & Schwarz, S. (2011). Profis für Krippen: Curriculare Bausteine für die Aus- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte. FEL.


[1] Das Projekt InQTheL bezieht sich auf die Heterogenitätsdimension Behinderung, wohlwissend, dass Inklusion auch andere Heterogenitätsdimensionen (bspw. Herkunft, Geschlecht) betrifft und dass eine gute Pädagogik für jedes Kind auch automatisch eine inklusive Pädagogik, im Sinne einer Pädagogik der Vielfalt (Prengel, 2014), ist. Die vorgestellten Lehr-/Lernmaterialien sind dabei auch im Hinblick auf andere Heterogenitätsdimensionen diskutierbar.

Vielfalt vor Ort begegnen – wie geht das eigentlich?

| Barbara Lochner |

Im Modellprojekt „Vielfalt vor Ort begegnen – professioneller Umgang mit Heterogenität in Kindertageseinrichtungen“ wird80 Thüringer Kitas ermöglicht, eigene Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Finanziert wurde das Projekt von 2021 bis 2023 durch Mittel aus dem Gute-Kita-Gesetz des Bundes (Lochner et al. 2022). Mittlerweile hat das Land Thüringen die Förderung übernommen und sie bis Ende 2025 abgesichert. Es geht darum, dass die Kitas ihre eigenen Herausforderungen in der Wahrnehmung von und Umgang mit Heterogenität erkennen und nach praktikablen Wegen suchen, diesen im Sinne einer inklusiven, diversitätsreflexiven Praxis zu begegnen. Zur Koordination dieses Prozesses gibt es in den Einrichtungen sog. „Steuerungsfachkräfte“, die zusätzlich zum Regelpersonal finanziert werden. Sie werden durch Fachberater:innen und einem Team von Wissenschaftler:innen unterstützt und begleitet.

Was will das Projekt?

Das Zusammenleben und der Alltag in Kindertageseinrichtung ist ein Spiegel der Gesellschaft und damit in gleicher Weise von Diversität und Heterogenität geprägt. Es ist mittlerweile empirisch gut belegt, dass zentrale Differenzlinien wie race*, class, gender oder dis/ability auch in Kindertageseinrichtungen eine Rolle spielen, die Entwicklung der Identitäten von Kindern prägen und den „Zugang zu bedeutenden gesellschaftlichen Gütern wie (…) Bildung“ (Kuhn 2021) steuern. Um das Zusammenleben in institutionellen Gemeinschaften inklusiv und diversitätssensibel zu gestalten, sind Reflexionen und Veränderungen auf Struktur-, Orientierungs- und Interaktionsebene notwendig. Zum einen geht es darum, den vielfältigen Voraussetzungen, Interessen und Bedürfnissen der Kinder angemessen zu begegnen und ihnen im Sinne einer solidarischen Gemeinschaft Raum zu geben. Zum anderen ist es Teil des frühpädagogischen Bildungsauftrags Kinder für den Umgang mit Vielfalt zu befähigen.

Die Kitas sind im Modellprojekt aufgefordert, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Aufgrund unterschiedlicher sozialstruktureller Gegebenheiten, organisationaler Rahmenbedingungen und fachlicher Schwerpunktsetzungen sind seit 2021 vielfältige Projekte in den Einrichtungen entstanden. Die begleitende Evaluation zeigt, dass bislang insbesondere die Zusammenarbeit mit und die Unterstützung von Kindern und Familien mit sog. ‚Migrationshintergrund‘, nicht-deutscher Familiensprache und/oder sozioökonomischen Belastungen im Fokus der Auseinandersetzung standen. Neben konkreten Maßnahmen (etwa dem Etablieren eines Elterncafés oder von Kita-Sozialarbeit) geht es um die Entwicklung einer reflexiven Haltung und diversitätssensibler Interaktionskompetenz – auch um dem Risiko zu begegnen, durch neue Formate und Angebote Zuweisungs- und Otheringpraktiken[1] zu reproduzieren, Ungleichheiten zu verstärken und das Potenzial von Kindertageseinrichtungen als „gesellschaftliches Allgemeinangebot“ (Thole 2012, S. 56) zu schwächen.

Aufgabe der wissenschaftlichen Begleitung ist es, die konkreten Herausforderungen vor Ort in ihrer Komplexität auszuleuchten und fachliche Unterstützungs- und Reflexionsangebote zu entwickeln, welche die diversitätsreflexive Handlungskompetenz stärken. Hierfür werden Räume geschaffen, die Perspektiverweiterungen und Reflexionen ermöglichen.

Wie sind wir vorgegangen?

Das Team der FH Erfurt begleitet den Projektprozess forschend, führt ein inhaltliches Monitoring durch und hält Fortbildungs- und Vernetzungsangebote für die Praktiker:innen und Fachberater:innen vor. Sie orientiert sich dabei an der Idee der „dialogischen Wissenstransformation“ (Blatter & Schelle 2022; Junk & Wutzler 2023). Begleitmaßnahmen sind demnach so angelegt, dass Wissensbildung und Weiterentwicklung im Dialog der wissenschaftlichen und fachpraktischen (sowie ggf. weiterer) Akteur:innen erfolgen. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass „wissenschaftliche Erkenntnisse die Praxis (…) über eine eigenständige Rezeption durch die Praktikerinnen und Praktiker“ (Blatter und Schelle 2022, S. 18) erreichen müssen, geht es darum, einen Transformationsraum zu schaffen, der die Entstehung „neuen Wissens“ im aktiven Austausch und der Vernetzung der unterschiedlichen Akteur:innen ermöglicht.

 Im Rahmen von Forschung und Monitoring ging es in der ersten Projektphase (bis Mai 2023) vor allem um folgende Ziele:

  • Mit Hilfe von ethnografisch orientierten Hospitationen in den Einrichtungen und einer standardisierten Online-Befragung zu Beginn des Projekts wurde das Ziel verfolgt, die Ausgangslage zu dokumentieren, ein Verständnis für die Herausforderungen der Praxis zu entwickeln und herauszufinden, welche Unterstützungsbedarfe die Einrichtungen und Fachkräfte sehen.
  • Insbesondere auf Basis der ethnografisch orientierten Hospitationen und den daraus entstandenen Beobachtungsprotokollen, wurde eine Fallvignette entwickelt, die als Gesprächsimpuls für Gruppendiskussionen mit den Steuerungsfachkräften der Einrichtungen und den Fachberater:innen dient und im Weiteren als Fortbildungsmaterial eingesetzt wird. Mit den Gruppendiskussionen wurden Orientierungen, strukturähnliche Erfahrungen und Umgangsweisen mit gegenstandsimmanenten Spannungsfeldern in der Auseinandersetzung mit Diversität erfasst. 
  • Gegen Ende der ersten Projektphase (im Winter 2022/23) wurden der Projektverlauf, die Erfolge und Herausforderungen auf Basis evaluativer Gruppendiskussionen und einer weiteren standardisierten Online-Befragung in den Einrichtungen evaluiert.

Eine Grundidee war, dass durch das Zusammenspiel von forschenden, dialogisch ausgerichteten und fortbildenden Zusammenkünften praxisnahe Möglichkeiten der Perspektiverweiterung und Reflexion eröffnet werden. Bei den Beobachtungen der Wissenschaftler:innen im Rahmen der ethnografisch orientierten Hospitationen ging es etwa darum, gegenstandsimmanente Spannungsfelder in den Deutungs- und Handlungsweisen herauszuarbeiten und diese in eine Fallvignette zu transportieren, die diese Erkenntnisse nicht nur verdichtet aufgreift, sondern die Ausgangssituationen auch so verfremdet, dass sich beteiligte Fachkräfte nicht bloßgestellt fühlen, wenn sie als Teilnehmende der Gruppendiskussion auf die Vignette stoßen. Bei den Gruppendiskussionen handelte es sich dann um Reflexionen der Steuerungsfachkräfte und Fachberater:innen, die sich – vermittelt durch die Fallvignette – auf die Wahrnehmungen der Fachkräfte im Feld sowie auf die Beobachtung dieser Fachkräfte durch die Wissenschaftler:innen richteten. Auf diese Weise wurden sowohl Einordnungen der pädagogischen Praxis (was sind die Handlungsprobleme, die in der Fallvignette sichtbar werden?), Annahmen zu externen Wahrnehmungen (welche Zuschreibungen sind in der so konstruierten Fallvignette enthalten?) sowie Orientierungen und Deutungsweisen der Diskutant:innen (wie werden die Handlungsprobleme wahrgenommen und diskutiert?) der Analyse zugänglich. Der Raum der Fortbildungen bot im Anschluss daran die Möglichkeit, die unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Deutungsebenen aufzugreifen und gemeinsam zu bearbeiten.

Was sind bisherige Ergebnisse des Projekts?

Aufgrund der unterschiedlichen Forschungsstränge und -ebenen kann an dieser Stelle nur ein kleiner Ausschnitt dargestellt werden, der an das oben skizzierte Interesse der Vermittlung unterschiedlicher Perspektiven und Wahrnehmungen anknüpft.

Als relevante Themen in Bezug auf eine diversitätsreflexive Interaktionspraxis wurden auf Basis der ethnografischen Hospitationen

  • der Umgang mit Artefakten (insbesondere sog. „Vielfaltsmaterialien“),
  • das Verhältnis von Repräsentation und Besonderung (im Umgang mit Materialien und Personen),
  • die Wahrnehmung und Einordnung von Diskriminierung (z. B. als pädagogisches Problem oder „Effekt gesellschaftlicher Einteilung“ (Scheer 2011, S. 36),
  • das Zusammenspiel von Ausgrenzung und Kindbild (Verhältnis von Vulnerabilität und Akteur:innenstatus des Kindes als Ausgangspunkt pädagogischer Interventionen) sowie
  • Fragen der Teamkultur und kollegialer Kritik herausgearbeitet (Verhältnis von kollegialer Intervention und Reflexion). 

Diese Themen wurden in die o. g. Fallvignette überführt, die als verfremdete dichte Beschreibung verstanden werden kann. Sie wurde in zwei Fassungen erstellt, die sich lediglich durch den Namen der zweiten Fachkraft (Frau Ismael/Frau Meier) unterscheiden. Achtmal wurde die Vignette „Meier“ und sechsmal die Vignette „Ismael“ in den Gruppendiskussionen genutzt. Die Veränderung der Namen sollte eine weitere Ebene der Differenz hinzufügen und stellte die Vergleichbarkeit der Diskussionen über diesen Unterschied her.

Als bedeutsam haben sich in der bisherigen Auswertung der Gruppendiskussionen u. a. folgende Aspekte erwiesen:

  • In fast allen Gruppendiskussionen besteht bei den Diskutant:innen zunächst ein hohes Bedürfnis sich vom Handeln der Fachkräfte in der Fallvignette abzugrenzen. Spätere Konklusionen zu Frau Schütz lassen sich überwiegend mit der Formel „gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ (VGD 12, Ihln, Z. 39) zusammenfassen. Daraus werden mitunter eigene Handlungsaufträge als Steuerungsfachkräfte bzw. Fachberater:innen abgeleitet, die sich um die Förderung einer Fehler- und Kritikkultur im Team und um pädagogisch-didaktische Kompetenz drehen. Diese handlungsorientierte Bewertung lenkt den Blick auf praktische Handlungs- und Veränderungsbedarfe, überspringt jedoch den Schritt einer präzisen Analyse der Strukturlogiken, die dem Handeln, das als fehlerhaft wahrgenommen wird, zugrunde liegen.
  • Die Deutungen des Handelns der zweiten Fachkraft variieren in einer Weise, die eine Verbindung mit der jeweiligen Namensgebung sehr nahelegen (vgl. u. a. Kleen & Glock 2020). Heißt sie Fr. Ismael wird ihr Handeln häufiger in den Blick genommen und tendenziell kompetenter eingeordnet als bei Fr. Meier. Es deutet sich an, dass Fr. Ismael als „Experten für Othering- und Rassismuserfahrungen“ (Akbaş 2017, S. 377) positioniert wird. Zugleich werden Beschränkungen der Handlungsmöglichkeiten (als „Neue“, die möglicherweise eine eigene Migrationsgeschichte hat) deutlicher aufgerufen als bei Frau Meier. Diese wiederum wird stärker als Repräsentantin der Fachgemeinschaft positioniert. Sie scheint ein höheres Identifikationspotenzial zu bieten, was auch dazu führt, dass sie stärker kritisiert wird.
  • Als intersubjektiv anschlussfähiger Gesprächsmodus erweist sich vor allem eine pädagogisch-didaktische Inblicknahme der Fallvignette. Dies ist einerseits mit Blick auf den Gesprächsrahmen (die Teilnehmenden kennen sich nicht alle, die Gruppendiskussionen finden pandemiebedingt digital statt) erklärlich: Der gemeinsame Bezugspunkt ist die pädagogische Beruflichkeit. Zugleich verstellt dieser Modus mitunter den Blick auf Diskriminierungspraktiken, weil er zu begünstigen scheint, Konflikte als situierte pädagogische Probleme zu interpretieren, ohne sie ins Verhältnis zu gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu setzen.       

Was kann das für die Praxis bedeuten?

Deutlich wird im Projekt nicht nur die hohe Bedeutung von Reflexionsräumen für die strukturierte Auseinandersetzung mit den Fallstricken und Bedingungen einer diversitätsreflexiven Praxis. Es deutet sich vor allem an, wie notwendig es ist, konsequent folgende Prämissen von Reflexionsprozessen zu beleuchten und zu hinterfragen:

  • In den Gruppendiskussionen zeigt sich z. B. erstens, dass die Auseinandersetzung sehr stark davon beeinflusst wird, ob die Situation als „echt“ eingeordnet und damit als relevant für die eigene Praxis zugelassen wird. Möglicherweise fungieren solche Distanzierungen als Selbstschutz gegen eine (schmerzhafte) Auseinandersetzung mit der eigenen Involviertheit in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Zugleich zeigt sich in unseren Daten, dass die Anerkennung von Authentizität die Nähe zum Gegenstand erhöht.
  • Es zeigt sich zweitens die Bedeutung kasuistischer Kompetenz in der Auseinandersetzung mit Situationen. Sie erlaubt, den Strukturlogiken des Handelns nachzugehen und damit die Ebene der Bewertung oder des affirmativen Verständnisses zu verlassen. Das schnelle Bewerten behindert den Blick auf die strukturellen Bedingungen der Praxis und begünstigt einen individualisierenden Umgang mit Handlungsproblemen.
  • Schließlich zeigt sich drittens, wie schwierig es ist, sich von impliziten Annahmen zur sozialen Positioniertheit von Personen in der Einordnung von Vorgängen und Praktiken zu lösen (von Heyden & Zeltwanger 2023; Lochner & Rehklau 2023). Eine Möglichkeit wäre ggf. sozialstrukturelle Kontexte (Alter, Geschlecht, Herkunft), die mit dem Namen transportiert werden, in Fallreflexionen zu verfremden oder durch Anonymisierungen zu entfernen (vgl. Lochner 2017), um methodische Kontrolle über implizite Ordnungen der Differenz, die den eigenen Reflexionsprozess beeinflussen, zu erlangen.  

Literaturverweise

Akbaş, B. (2017). Von Sprachdefiziten und anderen Mythen. Eine Studie zum Nicht-Verbleib von Elementarpädagoginnen und -pädagogen mit Migrationshintergrund. Wiesbaden: Springer.

Blatter, K. & Schelle, R. (2022). Transfer in der Frühpädagogik als Wissenstransformation. Theoretische Verortung und Handlungsfelder. In: Weltzien, D., Wadepohl, H., Cloos, P., Friedrich, T. & Schelle, R. (Hrsg.): Transfer in der Frühpädagogik. Freiburg i. Br.: FEL, S. 21-50.

Kleen, H. & Glock, S. (2020). Sag’ mir, wie du heißt, dann sage ich dir, wie du bist: Eine Untersuchung von Vornamen. In: Glock,S. &  Kleen, H. (Hrsg.): Stereotype in der Schule. Wiesbaden: Springer VS, S. 99–131.

Junk, D. & Wutzler, M. (2023). Dialogischer Wissenstransfer in der frühen Bildung: Kindergärten als Orte diversitätssensibler Pädagogik gestalten. In: Hoffmann, M. et al. (Hrsg.): RAUM MACHT. INKLUSION. Inklusive Räume entwickeln und erforschen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S.310–318.

Lochner, B. (2017). „Kevin kann einfach auch nicht Paul heißen“ Methodologische Überlegungen zur Anonymisierung von Namen. In: ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung 2017 (18 (2), S. 283–296.

Lochner, B., Rehklau, C. (2023). Heterogenitätsreflexive Interaktionsgestaltung als Herausforderung. Sozial Extra, 47, 28–30. (Open Access).

Lochner, B., Wutzler, M., Rißmann, M., Rehklau, C. (2022). „Vielfalt vor Ort begegnen“ – wissenschaftliche Begleitung eines Modellprojekts zum professionellen Umgang mit Heterogenität in Kindertageseinrichtungen in Thüringen (WisBeV). Soziale Passagen, 14, 201–207 (Open Access).

von Heyden, N. & Zeltwanger, S. (2023). Rassismus? So was gibt es bei uns nicht! Dethematisierung von Rassismuserfahrungen im Kita-Alltag und Räume für einen offenen Dialog. Sozial Extra, 47, 36–40 (Open Access).


[1] D.h. Ausgrenzung durch Benennung zu fördern.

Antisemitismus in der Kita? Einblicke in ein Forschungsprojekt zu Differenzkonstruktionen unter jungen Kindern

| Benjamin Rensch-Kruse, Saba-Nur Cheema & Yasmine Goldhorn |

Einleitung

Antisemitismus ist in Deutschland ein gesellschaftlich breit debattiertes und empirisch gut erforschtes Phänomen. Insbesondere in den letzten Jahren sind zahlreiche Studien und Beiträge entstanden, die Judenfeindschaft im Erziehungs- und Bildungssektor untersuchen bzw. problematisieren (vgl. exempl. Bernstein/Grimm/Müller 2022; Bernstein 2020; Grimm/Müller 2020). Im Bereich der frühen Kindheit wurde Antisemitismus als Forschungsgegenstand bisher jedoch schlichtweg ausgespart. Während unlängst pädagogisch-programmatische Arbeiten erschienen sind, die Antisemitismus in Kindertagesstätten thematisieren und die Notwendigkeit einer frühestmöglichen Prävention diskutieren (vgl. Kölsch-Bunzen 2023, 2022), existieren in Bezug auf die Frage, wie und inwiefern Antisemitismen in der frühen Kindheit eine Rolle spielen, noch keine empirischen Erkenntnisse. Hier klafft eine beachtliche Forschungslücke (vgl. Rensch-Kruse et al. 2023).

Dies ist aus zweierlei Gründen erstaunlich: Einerseits gilt die frühe Kindheit als basale Lebensphase für spätere Entwicklungen, in der erzieherische Einwirkungen als richtungsweisend betrachtet werden (vgl. exempl. Fried et al. 2003, S. 7 f.). Andererseits kann diskriminierenden bzw. Differenz herstellenden Verhaltensweisen in pädagogischen Verhältnissen nur dann frühzeitig begegnet werden, wenn sie als solche erkannt und verstanden werden. Hierzu bedarf es der Forschung, d.h. der Beobachtung, Beschreibung, Interpretation und Kritik der vorhandenen (pädagogischen) Diskurse und Praktiken sowie der Einschätzung ihrer Effekte (vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 14). Ohne grundlegende Forschung in Einrichtungen der frühen Kindheit gibt es mit Blick auf Antisemitismusprävention praktisch keine Anhaltspunkte, an die pädagogisches Handeln anschließen könnte.

Das an der Goethe-Universität Frankfurt angesiedelte und unter der Leitung von Isabell Diehm († 2023) begonnene Teilprojekt ‚Antisemitismus unter jungen Kindern. Differenzkonstruktionen im Vor- und Grundschulalter (Relcodiff_ungesteuert)‘[1] stößt in die genannte Forschungslücke vor und untersucht antisemitische Differenzierungspraktiken unter jungen Kindern in Kindertagesstätten (Kita). Der folgende Beitrag gibt temporäre Einblicke in das Forschungsprojekt und präsentiert kursorisch erste Felderkenntnisse.

Vorgeschichte

Das Anliegen, Antisemitismus unter jungen Kindern zu untersuchen, hat eine längere Vorgeschichte. Isabell Diehm hat in ihrer umfassenden Forschung zu Differenzkonstruktionen im Kontext der frühen Kindheit immer wieder festgestellt, dass das Thema ‚Antisemitismus‘ weder in der sozialwissenschaftlichen noch in der erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung vorkommt. Aus dieser ersten Feststellung sind über einen längeren Zeitraum das Interesse und der Wunsch erwachsen, eingehender der Frage nachzugehen, wie Antisemitismen im elementarpädagogischen Bereich zu erforschen wären und inwieweit Judenfeindschaft dort überhaupt vorkommt. Genauer gefragt: Inwiefern eignen sich Kinder antisemitische Haltungen und Anschauungen an und wie gebrauchen sie diese in ihrem Alltag?

Diese Frage hat Isabell Diehm nicht losgelassen und ihr empirisch beizukommen war ihr eine Herzensangelegenheit. Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen, ihres Engagements und ihrer Initiative ist schließlich u.a. das hier zur Präsentation stehende Teilprojekt hervorgegangen, in dem wir mit Isabell Diehm bis zuletzt geforscht haben und in dem wir nun in ihrem Andenken weiterforschen.

Was will das Projekt/ Was ist das Phänomen?

Im Mittelpunkt der Forschung stehen (antisemitische) Differenzkonstruktionen unter Kindern in der Kita und die Frage, inwiefern sie auf judenfeindliche Unterscheidungsweisen Bezug nehmen, wie sie diese (re)produzieren und in alltäglichen Interaktionen anwenden. Von Interesse sind damit kindliche (diskursive) Praktiken des Differenzierens, die auf eine „antisemitische Semantik“ (Holz/Haury 2021, S. 21) hin untersucht werden. Antisemitismus[2] erfüllt eine das Wissen ordnende und damit die Wahrnehmung der Welt strukturierende Funktion. Antisemitische Wissensordnungen[3] beeinflussen, wie wir die Welt sehen, d.h. wie wir denken, sprechen und handeln.

Antisemitismus als Differenzkonstruktion zeigt sich wandelbar und die Frage, wie antisemitische Wissensordnungen unter jungen Kindern verhandelt und angewandt werden, kann insofern nur kontextabhängig und situationsspezifisch rekonstruiert werden (vgl. Rensch-Kruse et al. 2023). Da sich aufgeführte Praktiken des Unterscheidens i.d.R. nicht auf eine bestimmte Differenzkategorie beschränken lassen, sondern mehrere Differenzkonstruktionen im Spiel sind, wird der Fokus nicht ausschließlich auf antisemitische Unterscheidungsweisen gerichtet. Stattdessen wird ein offener Ansatz verfolgt, der von einer grundsätzlichen Wechselwirkung bzw. Intersektionalität im Kontext von Differenzkonstruktionen unter jungen Kindern ausgeht (vgl. Bak/Machold 2022).

Kurz gesagt: Es werden zwar ausdrücklich antisemitische Wissensordnungen und ihre Aufführung in (diskursiven) Praktiken in den Blick genommen, aber auch weitere Konstruktionen, die bspw. rassialisierende, religionsbegründete, kulturelle und nationale Unterscheidungen betreffen, können vom Datenmaterial ausgehend Gegenstand der Untersuchung sein.

Wie sind wir vorgegangen?

Um Zugang zu möglichen (antisemitischen) Praktiken des Differenzierens in Kitas[4] zu bekommen, haben wir uns für ein ethnographisches Vorgehen entschieden, das sich im Kitakontext bereits als fruchtbare Herangehensweise erwiesen hat (vgl. exempl. Machold 2015; Kuhn 2013). Dabei greifen wir auf Arbeiten der erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung zurück, die wichtige Erkenntnisse für die Erforschung antisemitischer Unterscheidungspraktiken bereitstellen (vgl. Rensch-Kruse et al. 2023). Neben teilnehmenden Beobachtungen veranstalten wir videogestützte Gruppengespräche[5] mit Kindern zwischen vier und acht Jahren. Darüber hinaus führen wir leitfadengestützte Interviews mit pädagogischen Fachkräften, Kitaleitungen und Eltern.[6] Während uns die teilnehmenden Beobachtungen und Gruppengespräche Einblicke in interaktive kindliche Verhaltens- und Sprechweisen geben, ermöglichen uns die Interviews kontrastive Eindrücke in Erwachsenensichtweisen. Von der so herbeigeführten Möglichkeit, kindliche Praktiken des Differenzierens mit Erwachsenenperspektiven in Relation zu setzten, versprechen wir uns aufschlussreiche Erkenntnisse über die Art und Weise der Wahrnehmung und Zirkulation antisemitischer Wissensordnungen im jeweiligen Kitakontext.

Im Gegensatz zu den Erwachseneninterviews, wird das Thema Judenfeindschaft im Kontext der teilnehmenden Beobachtungen und Gruppengespräche von unserer Seite nicht explizit gemacht. Im Kontakt mit den Kindern kommen Kinderbücher, Bilder und Handpuppen zum Einsatz, die religiöse Symbole, wie bspw. eine Synagoge, einen Davidsstern oder eine Kippa zeigen bzw. tragen. In den Gruppengesprächen werden die Kinder zunächst aufgefordert zu beschreiben, was sie sehen. Erst auf dieser Grundlage werden sodann Gespräche initiiert. Mit diesem Vorgehen soll einerseits erreicht werden, dass Aussagen und Handlungen nicht durch eine direkte Konfrontation mit dem Forschungsthema hervorgelockt werden, sondern dass es vielmehr den Kindern überlassen bleibt, welche Assoziationen die präsentierten Materialien bei ihnen hervorrufen. Andererseits soll damit berücksichtigt werden, dass eine zu starke thematische Setzung eine Reifizierung von Differenz begünstigt (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010).

Wird Judenfeindschaft offensiv thematisiert, so kann das bedeuten, die Kinder aus einer Erwachsenenperspektive mit etwas zu konfrontieren, dass sie selbst noch gar nicht kennen bzw. dessen Bedeutung ihnen noch gar nicht bewusst ist. Es geht uns darum, antisemitischen Differenzkonstruktionen unter Kindern nachzuspüren und dabei zu reflektieren, dass dieses Nachspüren-Wollen selbst Differenz(ierung)en hervorbringt. Die Arbeit mit den genannten Materialien bietet eine Möglichkeit, von den Vorstellungen der Kinder ausgehend den Forscher:innenblick auf entsprechende Unterscheidungen zu richten.

Was sind bisherige Ergebnisse?

Eine erste Durchsicht der leitfadengestützten Interviews fördert zutage, dass pädagogische Fachkräfte, Kitaleitungen und Eltern das Thema ‚Antisemitismus‘ prinzipiell nicht im Kitakontext verorten und entsprechend auch nicht über judenfeindliche Vorkommnisse in der Kita berichten. Neben Aussagen, die darauf hinweisen, dass Antisemitismus unter jungen Kindern kaum bis gar nicht vorstellbar ist („Kinder grenzen noch nicht so aus; Kinder sind eher offen“) bzw. schlichtweg nicht vorkommt („Gar nicht. Also, da habe ich nichts von gehört“; „Ist überhaupt kein Thema hier“; „Ne, fällt mir jetzt direkt nicht ein“) lassen sich Bemerkungen finden, die die Abwesenheit judenfeindlicher Vorkommnisse an das vermeintlich fehlende Vorhandensein jüdischer Kinder knüpfen („Jüdische Kinder haben wir glaube ich gar nicht“).

Dabei fällt auf, dass viele der Interviewten nicht sicher sagen können, ob es überhaupt jüdische Kinder in der jeweiligen Einrichtung gibt. Hier lässt sich Unsichtbarkeit auf Seiten der Kinder und Unsicherheit auf Seiten der Erwachsenen feststellen. Während die Vorstellung, dass Antisemitismus in der Kita aufgrund des jungen Alters der Kinder nicht vorkäme, auf den Topos des ‚unschuldigen Kindes‘ (vgl. Bühler-Niederberger 2005) verweist, kann die gängige Praktik, Judenfeindschaft an jüdische Präsenz zu binden, auf fehlendes Wissen über Antisemitismus zurückgeführt werden.[7] Ohne an dieser Stelle genauer auf die Ergebnisse eingehen zu können, kann in Bezug auf die Frage, wie Antisemitismus im Kitakontext von Seiten der Erwachsenen thematisiert wird, von einer ‚Dethematisierung‘ gesprochen werden. Die überwiegende Zahl der Interviewten geht davon aus, dass Kinder weder über antisemitisches Wissen verfügen, noch dass Judenfeindschaft in der Kita vorkommt.

Dies steht in einem eklatanten Widerspruch zu den Erkenntnissen, die wir während der teilnehmenden Beobachtungen und Gruppengespräche unter den Kindern gemacht haben. So hat sich gezeigt, dass bereits junge Kinder Jüdinnen und Juden als solche identifizieren und in einzelnen Fällen mit Begriffen beschreiben, die antisemitischen Wissensordnungen entstammen. In der Auseinandersetzung mit den Kinderbüchern, Bildern und Handpuppen sind Jüdinnen und Juden von manchen Kindern als ‚reich‘, ‚wohlhabend‘ und ‚böse‘ adressiert worden. Auch phänotypische Merkmale, wie bspw. die Zuschreibung einer ‚großen Nase‘, wurden benannt.

Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass die Kinder die von ihnen getätigten Aussagen i.d.R. nicht begründen können und offenbar nur über wenig bis gar kein Kontextwissen verfügen. So inkonsistent und unvermittelt, wie die Aussagen kommen, so sprunghaft und aus dem Zusammenhang gerissen erscheint die Argumentation. Einen siebenjährigen Jungen gefragt, woher er wisse, dass Jüdinnen und Juden „ekelhaft“ und „gefährlich“ seien, gibt uns dieser zur Antwort: „ich weiß es selbst einfach. Ich hab nur nachgedacht“. Junge Kinder verfügen noch nicht über ein gefestigtes weltanschauliches Repertoire, auf das sie bewusst zurückgreifen. Sie sprechen aus, was ihnen in den Sinn kommt, was ihnen in der jeweiligen Situation nutzt, womit sie Aufmerksamkeit erregen und zeigen können, was sie wissen. Obgleich sie die Herkunft und Bedeutung einer getätigten Aussage nicht immer erklären können, verstehen sie doch sehr gut, dass ihr Handeln etwas bewirkt.

Was kann das für die pädagogische Praxis bedeuten?

Das vorgestellte Forschungsprojekt untersucht Antisemitismus in Einrichtungen der frühen Kindheit und stößt damit in eine sowohl in der Antisemitismusforschung als auch der erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung klaffende Forschungslücke vor. Die bisherigen empirischen Erkenntnisse verweisen auf eine Dethematisierung von Antisemitismus im Kitakontext, die in deutlichem Widerspruch zu den im Feld beobachteten kindlichen Praktiken des Unterscheidens stehen. Antisemitische Wissensordnungen werden von Kindern in der Kita (re)produziert und angewandt. Mit Blick auf die pädagogische Praxis stellen sich u.E. damit folgende Fragen:

  • Inwiefern handelt es sich bzgl. der genannten Dethematisierung um ein strukturelles Problem, das auf fehlende Professionalisierungsformate und institutionelle Mechanismen zurückzuführen ist? Nur wenn über das individuelle Engagement einzelner Pädagog:innen hinaus auch auf institutioneller Ebene durchdringt, dass Judenfeindschaft bereits in der frühen Kindheit virulent ist, können weitreichende Maßnahmen ergriffen werden, die Antisemitismusprävention in Einrichtungen der frühen Kindheit fördern.
  • Wie lässt sich mit antisemitischen Differenzierungspraktiken unter jungen Kindern adäquat umgehen, wenn sie die inhaltliche Tragweite ihres Handelns noch nicht begreifen? Genauer gefragt: Wie kann mit jungen Kindern über Antisemitismus auf eine Weise gesprochen werden, die (be)schützt, erklärtund wenn nötig auch deutliche Grenzen aufzeigt?

Mit unserem Forschungsprojekt hoffen wir nicht zuletzt dazu beizutragen, dass diese und weitere Fragen Eingang in die pädagogische Praxis finden.

Literatur

Bak, R., Machold, C. (2022): Kindheit und Kindheitsforschung intersektional denken. Eine Suchbewegung. In: R. Bak & C. Machold (Hrsg.): Kindheit und Kindheitsforschung intersektional denken. Theoretische, empirische und praktische Zugänge im Kontext von Bildung und Erziehung. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-19.

Bernstein, J. (2020): Antisemitismus an Schulen in Deutschland: Befunde – Analysen – Handlungsoptionen. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Bernstein, J., Grimm, M., Müller, S. (Hrsg.) (2022): Schule als Spiegel der Gesellschaft. Antisemitismen erkennen und handeln. Frankfurt a. M.: Wochenschau Verlag.

Bühler-Niederberger, D. (Hrsg.) (2005): Macht der Unschuld: Das Kind als Chiffre. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Diehm, I., Kuhn, M., Machold, C. (2010): Die Schwierigkeit, ethnische Differenz durch Forschung nicht zu reifizieren – Ethnographie im Kindergarten. In: A. Panagiotopoulou & F. Heinzel (Hrsg.): Qualitative Bildungsforschung im Elementar- und Primarbereich. Bedingungen und Kontexte kindlicher Lern- und Entwicklungsprozesse. Baltmannsweiler: Schneider Verlag, S. 78-92.

Diehm, I., Radtke, F.-O. (1999): Erziehung und Migration. Eine Einführung. Stuttgart. Kohlhammer.

Fried, L., Dippelhofer-Stiem, B., Honig, M.-S., Liegle, L. (2003): Einleitung. In: L. Fried, B. Dippelhofer-Stiem, M.-S. Honig & L. Liegle (Hrsg.): Einführung in die Pädagogik der frühen Kindheit. Weinheim, Basel & Berlin: Beltz, S. 7-13.

Grimm, M., Müller, S. (Hrsg.) (2020): Bildung gegen Antisemitismus. Spannungsfelder der Aufklärung. Frankfurt a. M.: Wochenschau Verlag.

Holz, K., Haury, T. (2021): Antisemitismus gegen Israel. Hamburg: Hamburger Edition.

Kölsch-Bunzen, N. (2023): Kindertageseinrichtungen gegen Antisemitismus. Aus guten Geschichten lernen. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Kölsch-Bunzen, N. (2022): Gut aufgestellt gegen Antisemitismus? Die Förderung von Antisemitismusprävention in Kindertagesstätten und Schulen durch Kinderbibeln, Kinderkorane und Schulbücher. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Kuhn, M. (2013): Professionalität im Kindergarten. Eine ethnographische Studie zur Elementarpädagogik in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.

Lendvai, P (1972): Antisemitismus ohne Juden. Entwicklungen und Tendenzen in Osteuropa. Wien. Europaverlag.

Machold, C. (2015): Kinder und Differenz. Eine ethnografische Studie im elementarpädagogischen Kontext. Wiesbaden: Springer VS.

Rensch-Kruse, B., Cheema, S.-N., Goldhorn, Y., Diehm, I. (2023): Antisemitismus unter jungen Kindern. Forschungsgrundlagen und -reflexionen im Kontext einer Differenzforschung in Einrichtungen der frühen Kindheit. In: E. Ilgün-Birhimeoğlu & S. Bostancı (Hrsg.): Elementarpädagogik in der Migrationsgesellschaft. Theoretische und empirische Zugänge zu einer rassismuskritischen Pädagogik. Weinheim & Basel: Beltz Juventa. i.E.

Reckwitz, A. (2012): Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.


[1] Das Teilprojekt ist eines von drei Teilprojekten des vom BMBF geförderten Verbundprojekts ‚Antisemitismus in pädagogischen Kontexten. Religiös codierte Differenzkonstruktionen in der frühen und mittleren Kindheit (RelcoDiff)‘. Genauere Infos unter www.relcodiff.uni-frankfurt.de

[2] Ohne den Begriff und seine unterschiedlichen Definitionen und Ausprägungen an dieser Stelle eingehend diskutieren zu können, verstehen wir unter ‚Antisemitismus‘ eine Sammelbezeichnung für Diskurse und Praktiken, die als ‚Juden‘ bzw. ‚jüdisch‘ wahrgenommene Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund eines mit bestimmten negativen Eigenschaften festgeschriebenen ‚jüdisch-Seins‘ abwerten und/oder anfeinden.

[3] ‚Wissensordnungen‘ werden im Anschluss an Andreas Reckwitz (2012, S. 146) als kollektive „Sinnmuster“ verstanden, die „das ‚Verstehen‘ der Umwelt und Welt anleiten“.

[4] Wir forschen in insgesamt vier Kindertagesstätten einer deutschen Großstadt.

[5] Wir sprechen bewusst nicht von Gruppendiskussionen, weil unter den Kindern zumeist kein wechselseitiger Austausch von Argumenten über ein bestimmtes Thema stattfindet, sondern ein offener mitunter sprunghafter Gedankenaustausch, in den die Forscher:innen nolens volens involviert sind, und der durch (Nach-)Fragen, Erklärungen, Behauptungen, inhaltliche Abschweifungen und kindliche Impulsivität gekennzeichnet ist.

[6] Bisher haben wir 19 Interviews geführt.

[7] Paul Lendvai (1972) hat bereits Anfang der 1970er Jahre auf das Phänomen eines „Antisemitismus ohne Juden“ aufmerksam gemacht.

Call for Participation: Vielfalt leben in pädagogischen Einrichtungen

| in eigener Sache |

Nachdem wir in den letzten Monaten viele Beiträge aus der Forschung zum Thema Vielfalt auf unserem Blog veröffentlichen durften, möchten wir nun Sie, liebe Träger, Stiftungen, Verbände und Einrichtungen einladen, uns zu schreiben, wie Sie Vielfalt im pädagogischen Alltag leben. Denn so unterschiedlich die Kinder und Kindheiten heute sind, so vielfältig und facettenreich sind auch pädagogische Wege, Projekte und Initiativen dieser Vielfalt zu begegnen. Sie bereichern mit Ihrer Darstellung den praxisnahen wie wissenschaftlichen Kontext, indem Sie die Stimme der Praxis stärken.

Der Umgang mit Vielfalt meint insbesondere, wie mit dem Anderssein umgegangen wird und welche Normen und Grenzen dabei möglicherweise (nicht) gezogen werden. Anderssein kann bedeuten, in einer oder mehreren Eigenschaften anders als ein anderer Mensch oder eine andere Gruppe zu sein, aber auch anders als früher einmal oder anders als mir/uns bisher bekannt (Prengel 2010, S. 20). Diese eine oder mehreren Eigenschaften können sich dabei auf ganz unterschiedliche Aspekte des Seins beziehen: bspw. Fähigkeiten und Kompetenzen, Sprache, Gender, Alter, sozio-kultureller Hintergrund.

Uns interessiert, wie in Ihrer Trägerschaft, Verbänden, Stiftungen und Einrichtungen mit Vielfalt bei Kindern in jeglicher Hinsicht umgegangen. Wie wird etwa Vielfalt in Ihren Beobachtungs- und Dokumentationsbögen berücksichtigt? Wie wird Vielfalt im Team, im Sprechen über Kinder thematisiert? Welche (konzeptionellen) Ideen gibt es, Vielfalt im Alltag zu begegnen, Abläufe zu organisieren und Peer-Kulturen zu organisieren. Welche Eigenschaften von Kindern werden dabei besonders relevant gemacht?

Mit diesem Call laden wir dazu ein, Blogbeiträge im Umfang von ca. 4000 – 10 000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) für unseren Blog Diversekindheiten.de zu verfassen. Der Blog stellt regelmäßig Beiträge u.a. zu Forschungs(zwischen)ergebnissen von Forscher*innen kostenfrei zur Verfügung, um den Austausch und Transfer zwischen Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft praxisorientiert und aktuell zu gestalten.

Wir freuen uns auf Blogbeiträge, die die Stimme der Praxis wiedergeben und sich mit einer der folgenden Fragen befasst:

  • Welche Projekte gibt es in Ihren Einrichtungen zum Thema Vielfalt leben?
  • Welche Perspektiven haben Eltern, Kinder, pädagogische Fachkräfte und Leitungen auf den Umgang mit Vielfalt im pädagogischen Alltag?
  • Wie ist Vielfalt konzeptionell bei Ihnen verankert und wie wird der Umgang mit Vielfalt weiterentwickelt?
  • Was brauchen Einrichtungen, um Vielfalt zu leben?

Alle Beiträge werden von den Heraus­geberinnen begleitet. Für eine einheitliche Struktur auf unserem Blog bitten wir Sie, die Vorlage im Anhang zu nutzen. Gern können Sie uns auch mit einer Schreibidee kontaktieren.

Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen bis zum 30.11.2023 an divkindheiten@uni-hildesheim.de. Die Beiträge werden voraussichtlich im Frühjahr 2024 veröffentlicht. Bei Rückfragen kontaktieren Sie uns gern.

Ihre Herausgeberinnen Svenja Garbade und Katja Zehbe

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2022). Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zum Bildungspersonal. https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2022.

Prengel, A. (2010): Inklusion in der Frühpädagogik. WiFF-Expertise Nr. 5. München: DJI.

„Ich spüre, dass diese Beobachtung eigene biografische Erlebnisse hervorruft…“ (Auto)Ethnografische Reflexionspotenziale am Beispiel neu-materialistischer Kindheitsforschung zu Akteur:innenschaft und Partizipation

| Jan-Niclas Peeters |

Einleitung

Verbunden mit dem Anliegen einer Exploration frühpädagogischer Felder konstatiert Neumann (2013) bereits vor einem Jahrzehnt einen Bedeutungszuwachs ethnografischer Zugänge innerhalb der Kindheitsforschung. Konstitutives Merkmal der Ethnografie ist das (teilnehmende) Forschen am ‚Ort des Geschehens‘, ebenjenen sogenannten Feldern. Frühpädagogische Felder wie Kindertageseinrichtungen werden in den entsprechenden Studien zunehmend aber nicht nur als Ort der Forschung, sondern zugleich als deren Gegenstand definiert (exemplarisch Göbel, 2018). Die von Neumann (2013) einst aufgeworfene Frage, „[w]enn ethnografische Forschung im Feld der Frühpädagogik beobachtet, macht sie es dann auch zum Gegenstand?“ (S.12; Herv. i. Orig.), behält jedoch ihre Relevanz. Denn ungeachtet einer Betrachtung des Feldes ‚Kindertageseinrichtung‘ als Gegenstand impliziert dies die weitergehende Frage: Inwiefern macht sie es dann auch zum Gegenstand?

Bailey (2020) folgend zeigt sich das Feld eng mit sozialen (z.B. durch Interaktionen) bzw. materiellen Praktiken (z.B. durch die Nutzung von Gegenständen) verwoben. Mit dem Entstehen von Praktiken im Feld als Ort gestaltet sich dieses zugleich und wird somit veränderlich hervorgebracht. Damit scheint ein Verständnis vom Feld als ausschließlicher Ort von Forschung also auch dann verkürzt, wenn ein scheinbar feldunabhängiges Gegenstandsinteresse vorausgesetzt wird. Vielmehr tritt das jeweilige Feld als Gegenstand immer schon dadurch in Erscheinung, da es eben nicht nur als Produzentin, sondern zugleich als Produkt sozialer bzw. materieller Praktiken verstanden werden kann. Fokussiert man auf die an den Praktiken beteiligten Akteur:innen, so muss explizit auch die Rolle von Forschenden in den Blick genommen werden – auch sie bewegen sich im Feld.

Vor diesem Hintergrund möchte der vorliegende Beitrag im Spezifischen für die Konstitution des Feldes Kindertageseinrichtung durch die (eigene) Rolle als Forscher:in sensibilisieren. Zwar hat Clifford Geertz bereits um 1970 im Rahmen der sogenannten Krise der ethnografischen Repräsentation auf die Involviertheit von Forschenden in der ethnografischen Wissensproduktion aufmerksam gemacht (Gottowik, 1997). Doch gleichwohl dies inzwischen als ethnografisches Selbstverständnis bezeichnet werden kann, beschreibt Anderson (2006) die anhaltende „tendency to downplay or obscure the researcher as a social actor in the settings or groups“ (p. 376). Anstelle dieses Herunterspielens und Verschleierns des Einflusses von Forschenden als Akteur:innen lässt sich vielmehr vergegenwärtigen, dass das von Forscher:innen hervorgebrachte Wissen „is situated by what they ‚see‘ in the field, which in turn is situated by what they ‚look‘ for and/or are given ‚access‘ to“ (Bailey, 2020, p. 734). Das Bewusstsein um ein durch Zugang und eigener Perspektive selektives Wissen gewinnt gerade auch dann an Bedeutung, wenn verschiedentlich Befremdungsstrategien in der Hinwendung zum ‚Eigenen‘ unter dem Aspekt einer Objektivierung diskutiert werden (exemplarisch Kuhn & Neumann, 2015). Damit verdichten sich die bisherigen Darlegungen in der für diesen Beitrag zentralen Frage: Inwiefern und mit welchen Implikationen sind Forschende als Akteur:innen in die Konstitution des Feldes involviert?

Was will das Projekt/ Was ist das Phänomen?

Entlang der thematischen Fokussierung des seit 2021 laufenden Dissertationsprojekts „Partizipation als un-bestimmtes Phänomen“[1] hat sich beim Forschenden eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema von Involviertheit eingestellt. Zuvorderst ursächlich hierfür ist der inhaltliche Rekurs auf das um 1980 im Kontext der New Social Childhood Studies (NSCS)entstandene und bis heute wirkmächtige Paradigma von Kindern als kompetente Akteur:innen (Mierendorff, 2018). Dieses Paradigma verleiht sich im Rahmen frühpädagogischer Theorie und Praxis deutlich im Partizipationsbegriff Ausdruck und misst Involviertheit damit zentrale Bedeutung bei (König, 2021). Kritisch blickt das Dissertationsprojekt dabei auf eine entlang der NSCS aufgerufenen Heuristik, die als eine Art vereinfachter Denkansatz selbstreferenziell die romantisierende Vorstellung eines a priori kompetenten Kindes (re-)produziert. Durch eine derart vorgefasste Annahme kann übersehen werden, inwiefern und durch wen oder was die im Partizipationsbegriff verankerte Involviertheit als Akteur:in in situ hervorgebracht wird (Balzer & Huf, 2019). Weiterhin berücksichtigt werden empirische Befunde, die überdies bereits eine in Bezug auf Partizipation häufig vorzufindende Engführung auf formalisierte Verfahren wie Kinderparlamente oder Abstimmungsverfahren kritisieren (Höke, 2016;  Neumann et al., 2019). Somit wird insgesamt eine vorgefasste Fokussierung auf ‚das kompetente Kind‘ sowie ein vermeintliches Wissen über spezifische Partizipationskontexte kritisch hinterfragt. In diesem Zusammenhang verschreibt sich das Dissertationsprojekt der Forderung einer Dezentrierung des Kindes innerhalb der Kindheitsforschung (Spyrou, 2018) und perspektiviert dies auf der Grundlage posthumanistischer Theorieangebote des sogenannten Neuen Materialismus. Unter Rückgriff auf die wohl prominenteste Vertreterin des Neuen Materialismus, Karen Barad (2007), wird Partizipation demnach als zunächst unbestimmtes Phänomen verstanden, das erst im Rahmen sogenannter Intra-aktionen materiell-diskursiver Praktiken partielle Bestimmtheit erlangt. Im Gegensatz zur Interaktion sind Akteur:innen im Rahmen der Intra-Aktionen nicht prädeterminiert; wer oder was als Subjekt bzw. Objekt involviert wird, (re-)konstituiert sich also erst im Geschehen selbst (Garske, 2014). Hinsichtlich der Frage nach Akteur:innenschaft und Involviertheit wird damit einerseits eine anthropozentrische Ontologie, die den Menschen in den Mittelpunkt des Seins stellt und die Umwelt vernachlässigt, grundlegend in Frage gestellt. Anerkannt wird stattdessen eine Lebendigkeit der ‚Dinge‘ (Tesar & Arndt, 2016), die in der Verbindung mit Kindern, aber auch für sich genommen, einen Subjektstatus einnehmen können. Die sich darin widerspiegelnde posthumanistische[2] Grundannahme einer aktiven ‚Welt‘, bei der Grenzen zwischen humanen und nicht-humanen Entitäten wie Menschen und Dingen fluide erscheinen, hat andererseits relevante Konsequenzen auf die einleitend gestellte zentrale Frage, inwiefern und mit welchen Implikationen auch Forschende selbst als Akteur:innen in die Konstitution des Feldes involviert sind. Barad (2007) folgend können Forschende nicht als neutrale Instanz einer vermeintlich objektiv zugänglichen und außerhalbliegenden Welt verstanden werden. Im Gegenteil: sie sind selbst Teil der Welt, die sie beforschen und somit aktiv an der Hervorbringung dieser bzw. das ‚Wissen‘ über sie beteiligt. Ontologische Fragestellungen, die die Frage nach dem ‚Seienden‘ stellen, sowie epistemologische Fragestellungen, die sich mit dem Aspekt der diesbezüglichen Wissensproduktion befassen, sind in diesem Sinne untrennbar miteinander verwoben. Forschende sind dabei nicht nur gefordert, die Art und Weise, wie sie in die Wissensproduktion involviert sind, permanent zu reflektieren. Vielmehr geht es in diesem Verständnis um eine produktive Wendung, bei der die eigene Involviertheit ebenso einer analytischen Betrachtung unterliegt.

Wie bin ich vorgegangen?

Als methodologische[3] ‚Antwort‘ auf die zur Involviertheit skizzierten Implikationen wurde sich der sogenannten Analytischen (Auto)Ethnografie (AAE) nach Anderson (2006) angeschlossen. Die Umsetzung fordert die Berücksichtigung fünf sogenannter „key features“ (p. 378) ein: Grundvoraussetzung ist (1) die Akzeptanz, dass Forscher:innen selbst Teil des von ihnen beforschten Feldes sind. Eine Fokussierung auf die eigene Person sowie das übrige Geschehen ist daher im gesamten Forschungsprozess angezeigt. Beidem möglichst gerecht zu werden, kann aber nur dann gelingen, wenn (2) eine analytische Reflexivität eingenommen wird, vor deren Hintergrund die (eigenen) komplexen Verstrickungen im Beobachtungsprozess sowie die daraus resultierenden Forschungsdaten betrachtet werden. Ein solches Bewusstsein allein reicht allerdings nicht aus. Vielmehr bedarf es (3) einer Sichtbarkeit von Forschenden in den zugehörigen Dokumenten. Im Rahmen des Dissertationsprojektes werden daher auch Beobachtungen, die auf den Forschenden rekurrieren, in Form von Feldnotizen, dichten Beschreibungen sowie der Berichtlegung analytisch aufgenommen und expliziert. Entgegen einer Überbetonung der eigenen Person gilt dabei (4) der Anspruch, das Feld in seiner Gesamtheit nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn auch wenn Forschende involviert sind, sind sie eben nur ein Teil des Feldes. Eine (5) Verpflichtung zu einer analytischen Agenda soll schließlich sicherstellen, dass diese Balance auch vor dem Hintergrund der Forschungsfrage gewahrt bleibt und die so gewonnen Forschungsdaten zielorientiert analysiert werden können.

Zur konkreten Veranschaulichung dieser Perspektive wird exemplarisch eine kurze Beobachtungssequenz aus einer Kindertageseinrichtung präsentiert, die im Rahmen einer ersten Feldphase (August-Oktober 2022) in Anlehnung an Anderson (2006) qua teilnehmender Beobachtung erhoben sowie mit Blick auf die unter Punkt (5) benannte analytische Agenda im Zusammenspiel mit der konstruktivistischen Grounded Theory nach Charmaz (2014) analysiert wurde.

Was ist das Ergebnis?

Die nachfolgende Sequenz hat sich während einer Freispielphase im Außenbereich der Kindertageseinrichtung zugetragen. Der Forschende richtet seine Aufmerksamkeit auf sechs beieinanderstehende sowie ein leicht abseitsstehendes Kind und versucht, die Bedeutung der beobachteten Positionierungen der Kinder zu ergründen.

Ich denke darüber nach, dass mir Marius schon häufiger in einer eher abseitigen Position aufgefallen ist, wenngleich er sich immer wieder aktiv in etwaige (Gruppen)Geschehen einzubringen versucht. Ich spüre, dass diese Beobachtung eigene biografische Erlebnisse hervorruft und sich eine Art Solidarisierungsempfinden gegenüber Marius einstellt. Ich schaue Marius genauer an. Sein Blick ist in Richtung der anderen Kinder gerichtet, die einen Kreis bilden, der in Richtung Marius leicht geöffnet ist. Erst in diesem direkten Vergleich fällt mir auf, dass alle unmittelbar im Kreis befindlichen Kinder einen Stock in der Hand halten, während Marius selbst keinen Stock in der Hand hält.

Mit der gedanklichen Fokussierung auf die abseitige Position von Marius wird dieser nicht nur im lokalen Geschehen, sondern auch im analytischen Zugriff durch den Forschenden separiert von jeweils unterschiedlichen Kindergruppen verortet. Dies kann insofern als eine zweifache Exklusivität beschrieben werden, als sich hier einerseits eine Ausgrenzung von Marius gegenüber den „anderen Kinder[n]“ manifestiert, Marius jedoch andererseits zugleich eine besondere Aufmerksamkeit des Forschenden zu Teil wird. Der Ursprung dieser Aufmerksamkeit hängt augenscheinlich mit der retrospektiven Einordnung der Kind(er)positionierungen zusammen. Dass der Forschende die gegenüber anderen Kindern separierte Positionierung von Marius bereits „häufiger“ wahrgenommen hat, verweist dabei auf ein iteratives, also sich wiederholendes Geschehen, das sich unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen auch dann einzustellen scheint, wenn Marius sich aktiv gegen die separierende Positionierung wendet und um Partizipation bemüht. Die dichte Beschreibung offenbart, dass der Forschende die Beobachtungen um Marius mit eigenen biografischen Erlebnissen verknüpft. Zwar werden die Evokationen im Sinne eines bewussten Hervorrufens von Erinnerungen mit Ausnahme des Solidarisierungsaspektes nicht weiter expliziert, doch lässt allein ihr bewusstes Aufkommen und die nachhaltige Materialisierung im Rahmen der dichten Beschreibung eine besondere Bedeutung des Geschehens für den Forschenden annehmen. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus plausibel, dass die Aufmerksamkeit für die Positionierung von Marius und den mithin involvierten Kindern in dieser sowie in den erinnerten Situationen ursprünglich nicht allein in den Beobachtungen vor Ort liegt. Weitergehend scheint sie auch in der spezifischen Biografie des Forschenden begründet zu sein. Die einleitend benannte Konstitution des Feldes kann demnach nicht nur allgemein mit der Involviertheit des Forschenden in situ gefasst werden. Konkreter erweitert sich das Feld in seiner vermeintlich räumlich-zeitlichen Begrenzung auf die (Beobachtung in der) Kita um die (zurückliegende) Lebenswelt des Forschenden. Gegenstandsbezogen führt die daraus resultierende Aufmerksamkeit für das Geschehen schließlich zu einer konzentrierten und vergleichenden Betrachtung der beschriebenen Kind(er)positionierungen. Bei dieser rückt über die Kinder hinaus auch ein Besitz von Stöcken in den Fokus. Die dadurch wahrgenommenen materiellen Bezugnahmen, ließen sich sich im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes immer wieder beobachten. Mit Blick auf das Forschungsinteresse konnten sie schließlich zu der vorläufigen Kategorie einer „Partizipation durch (nicht-)humane Verschränkungen“ verdichtet werden.

Was kann das für die Praxis bedeuten?

Mit der AAE wurde sich um die von Anderson (2006) postulierte Anerkennung von Forschenden als involvierte Akteur:innen in der Konstitution des Feldes bemüht. Die exemplarisch dargestellte biografisch begründete Fokussierung des Forschenden veranschaulicht, dass das, was wir beobachten, eng mit der betrachtenden Person in Verbindung steht (Bailey, 2020). Allgemeiner formuliert lässt sich somit nicht nur für die Forschung, sondern auch für die pädagogische Praxis bzw. die in ihr tätigen Fachkräfte für eine reflexive Anerkennung der eigenen Involviertheit plädieren. Am dargestellten Beispiel kann zwar kritisch angemerkt werden, dass die Beobachtung um die Stöcke und die damit thematisierte Dezentrierung des Kindes (Spyrou, 2018) im Sinne einer „Partizipation durch (nicht-)humane Verschränkungen“ etwaig auch ohne eine Auseinandersetzung mit der Fokussierung auf die eigene Person entstanden wäre. Doch gerade diese Auseinandersetzung hält Antworten auf weitergehende Fragen zum eingangs aufgerufenen Aspekt, inwiefern und mit welchen Implikationen Forschende als Akteur:innen das Feld konstituieren, bereit: Wen oder was (und warum) nehme ich insbesondere wahr? Wer oder was (und warum) gerät weniger bzw. gar nicht in meinen Blick? Welche Perspektivveränderungen kann ich vornehmen und zulassen? Kurzum: Es geht um ebenjene produktive Wendung einer immer schon subjektiven Involviertheit als (forschende:r) Akteur:in in die Konstitution des Feldes.

Zwei abschließende Gedanken zu Limitationen und Weiterentwicklung:

  • Auch wenn sich in der geforderten Reflexivität der AAE gerade nicht der Anspruch einer vermeintlichen Objektivierung ausdrückt, wird Reflexivität nicht selten damit verbunden. Dies aufgreifend schlägt Barad (2007) stattdessen den Begriff der Diffraktion vor und konzeptualisiert ihn im Sinne der AAE als eine bewusste Anerkennung der jeweils unterschiedlichen Involviertheit. So gewendet wird das Ziel einer Authentizität – statt Objektivität – des Wissens über die pädagogische Praxis ggf. unmissverständlicher zum Ausdruck gebracht.
  • Trotz aller Reflexion/ Diffraktion werden blinde Flecken verbleiben. Die kurze Sequenz zeigt, dass dies auch dann gelten kann, wenn die eigene Involviertheit (an)erkannt wird. So hat der Forschende nur andeutungsweise auf eigene Ausgrenzungserfahrungen rekurriert. Die fehlende Explikation verweist auf die herausfordernde Frage, was Forschende selbst von sich preisgeben wollen. Relativierend hat das Beispiel jedoch gezeigt, dass sich der produktive Einfluss bereits bei einer geringen Preisgabe ergeben kann.

Relevant erscheint vor diesem Hintergrund vor allem eine Haltung, bei der die eigene subjektive Involviertheit überhaupt anerkannt und ernstgenommen wird.

Literatur

Anderson, L. (2006). Analytic Autoethnography. Journal of Contemporary Ethnography, 35 (4), 373-395. https://doi.org/10.1177/0891241605280449

Bailey, S. (2020). Ethnography. In D. Cook (Hrsg.), The sage encyclopedia of children and      childhood studies (S. 734-735). London: SAGE Publications.

Balzer, N., Huf, C. (2019). Kindheitsforschung und ›Neuer Materialismus‹. In J. Drerup & G.     Schweiger (Hrsg.), Handbuch Philosophie der Kindheit (S. 50-58). Stuttgart: J.B. Metzler.

Barad, K. (2007). Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham: Duke University Press.

Charmaz, K. (2014). Constructing Grounded Theory. London: Sage.

Garske, P. (2014). What’s the „matter“? Der Materialitätsbegriff des „New Materialism“ und dessen Konsequenzen für feministisch-politische Handlungsfähigkeit. Prokla 44 (174). https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/issue/view/17

Göbel, S. (2018). Alltagspraktiken in Kindertageseinrichtungen. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22916-0

Gottowick, V. (1997). Konstruktionen des Anderen. Clifford Geertz und die Krise der ethnographischen Repräsentation. Berlin: Dietrich Reimer.

Höke, J. (2016). Als Gruppensprecher muss man schwindelfrei sein. Kinderperspektiven auf formale Partizipationsstrukturen in der Kita. ZSE Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 36 (3), 298-313.

König, A. (2021). Kinderrechte. Historische Ansatzpunkte und aktuelle Diskurse. Eine pädagogische Reflexion. In Pestalozzi-Fröbel-Verband (Hrsg.), Wir haben Rechte! Ein Blick auf Kinderrechte, Partizipation und Demokratie in der Kita (S. 9-15). Weimar: Verlag das Netz.

Kuhn, M., Neumann, S. (2015). Verstehen und Befremden. Objektivierungen des ‚Anderen‘ in     der ethnographischen Forschung. ZQF (1), 25-42.                https://doi.org/10.3224/zqf.v16i1.22852

Mierendorff, J. (2018). Kindheitsforschung. In K. Böllert (Hrsg.), Kompendium Kinder- und      Jugendhilfe (S. 1453–1475). Springer Fachmedien Wiesbaden.

Neumann, S. (2013). Unter Beobachtung. Ethnografische Forschung im frühpädagogischen    Feld. ZSE – Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 33 (1), 10-25.

Neumann, S., Kuhn, M., Hekel, N., Brandenberg, K. & Tinguely, L. (2019). Der institutionelle Sinn der Partizipation. Befunde einer ethnografischen Studie in schweizerischen Kindertageseinrichtungen. In A. Sieber Egger, G. Unterweger, M. Jäger, M. Kuhn & J. Hangartner (Hrsg.), Kindheit(en) in formalen, nonformalen und informellen Bildungskontexten. Ethnografische Beiträge aus der Schweiz (S. 321-342). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23238-2_16

Spyrou, S. (2018). Disclosing Childhoods. Research and Knowledge Production for a            Critical            Childhood Studies. London: Palgrave Macmillan.

Tesar, M. & Arndt, S. (2016). Vibrancy of Childhood Things. Cultural Studies ↔ Critical             Methodologies, 16(2), 193-200. https://doi.org/10.1177/1532708616636144


[1] Vollständiger Titel des Dissertationsprojekt: „Partizipation als un-bestimmtes Phänomen“ –(Auto)Ethnografische Befunde zur Re-Konstitution von Akteur:innenschaft durch materiell-diskursive Intra-aktionen“

[2] Posthumanistische Perspektiven bemühen sich um eine Überwindung traditioneller Vorstellungen von Menschlichkeit und sensibilisieren für eine Fluidität vermeintlicher Grenzen zwischen menschlichen und nicht menschlichen Elementen.

[3] Der Begriff Methodologie bezieht sich auf die systematische Vorgehensweise und die Grundsätze, die bei der Durchführung von wissenschaftlichen oder analytischen Untersuchungen verwendet werden.

Sprach(en)bewusste Pädagogik in Kindertageseinrichtungen unter Berücksichtigung geflüchteter Kinder aus der Ukraine

| Elisa Tessmer |

Einleitung

Das Thema der alltagsintegrierten Sprach(en)bildung in Kindertageseinrichtungen hat in den letzten fünfzehn Jahren einen bedeutenden Relevanzzuwachs erfahren. Dieser zeigt sich unter anderem durch hohe Investitionen aus der Politik sowie einem höheren Stellenwert in den Bildungs- und Orientierungsplänen, die eine Grundlage für die pädagogische Arbeit schaffen. Die spezifischen Bedürfnisse geflüchteter Kinder sind seit 2015 zunehmend in die Diskussion eingeflossen. Durch die aktuelle Zuwanderung ukrainischer Geflüchteter müssen die damit einhergehenden spezifischen Bedürfnisse der Kinder sowie die Anforderungen für die pädagogische Arbeit neu gedacht werden. Dabei stehen die professionellen Ansprüche aktuell in einem Spannungsfeld zu den ohnehin schon angespannten Arbeitsbedingungen, die insbesondere durch einen hohen Fachkräftemangel bei zugleich steigenden Erwartungen an die pädagogischen Fachkräfte bestimmt sind.

Das Phänomen: Monolingualer Habitus als bestehendes Element pädagogischer Haltungen

Eine Fokussierung des Erwerbs sowie der Kompetenzerweiterung der deutschen Sprache ist innerhalb des Kita- und Schulsystems nach wie vor vorzufinden. Gogolin (2008) und Dirim (1998) kritisieren diese Sichtweise, die im Kontext der Kindertageseinrichtungen insbesondere durch das Konzept der Schulfähigkeit getragen wird, mit der Bezeichnung des ‚monilingualen Habitus‘. Dem gegenüber steht die Perspektive, eine vorhandene Mehrsprachigkeit als besondere Ressource wahrzunehmen und zu unterstützen (vgl. u. a. Fleckenstein et al. 2017, S. 97ff.; Roth 2006, S. 11ff.).

Seit Kriegsbeginn befinden sich über 20 Millionen ukrainische Menschen auf der Flucht, von denen im Jahr 2022 über eine Millionen Zugänge in Deutschland registriert wurden (vgl. destatis 2023). Die Anzahl ukrainisch geflüchteter Kinder in Kindertageseinrichtungen ist nicht systematisch erhoben. Der Anteil der Säuglinge und Kleinkinder ist jedoch verhältnismäßig hoch und nach der Zuweisung zu einer Kommune besteht ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf Betreuung (vgl. Deutscher Bildungsserver 2022), sodass hieraus ein hoher Bedarf abgeleitet werden kann. Dieser Effekt verstärkt die ohnehin bestehende Heterogenität im Kitaalltag. Der prozentuale Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund lag in den Kindertageseinrichtungen vor Kriegsbeginn bereits bei knapp 30 % (vgl. bpb 2021). An dieser Stelle sei explizit darauf hingewiesen, dass zwischen einem Migrationshintergrund und einem sprachlichen Förderbedarf kein kausaler Zusammenhang hergestellt werden darf. Insbesondere Kinder mit nur einem ausländischen Elternteil, die multilingual erzogen werden, können von dem Beherrschen mehrerer Sprachen profitieren und daher äußerst sprachbegabt sein. Der Anteil der Kinder, die im Elternhaus kein Deutsch sprechen, nimmt jedoch zu und bei diesen Kindern ist häufig von einem besonderen sprachlichen Unterstützungsbedarf auszugehen, da die Sprachkontakte zur deutschen Sprache bis zum Eintritt in die Kindertageseinrichtung in diesem Fall als gering einzuschätzen sind.

Die damit verbundenen steigenden Anforderungen an Fachkräfte treffen auf zunehmende qualitative Forderungen an die pädagogische Arbeit sowie einen kontinuierlich steigenden Fachkräftemangel. Dieser ist im Feld der Elementarpädagogik im Wesentlichen bestimmt durch eine sukzessive Ausweitung des Rechtsanspruches auf frühkindliche Betreuung, steigenden Geburtenraten in den letzten Jahren und eine Ausweitung der Ganztagsbetreuung auch im Bereich der Primarstufe (vgl. u.a. Bock-Famulla et al. 2020, S. 7ff.).

Wie wurde das Phänomen untersucht?

Im Rahmen eines Dissertationsprojektes wurden pädagogische Fachkräfte mithilfe eines Fragebogens sowie anhand von Gruppendiskussionen zum Thema der alltagsintegrierten Sprach(en)bildung befragt. Die Erhebung mittels Fragebogen fand im Jahr 2016 statt. Hierzu wurden Fragebögen in Printform an niedersächsische Kindertageseinrichtungen verteilt. Die Kontaktaufnahme erfolgte per E-Mail sowie über den Kontakt von Supervisorinnen. Insgesamt beteiligten sich 345 pädagogische Fachkräfte aus 90 Kindertageseinrichtungen. Die Rücklaufquote lag damit bei 44,8 %. Von den teilnehmenden Einrichtungen beteiligten sich wiederum neun Kindertagesstätten im Anschluss an Gruppendiskussionen, in denen insgesamt 50 pädagogische Fachkräfte involviert waren. Des Weiteren stellten pädagogische Fachkräfte aus drei Einrichtungen Videoaufnahmen zur Verfügung, die von ihnen für Supervisionszwecke angefertigt wurden (vgl. Tessmer 2021, S. 167ff.).

In den 90 befragten Einrichtungen wurden insgesamt 7.769 Kinder betreut. Zur damaligen Zeit waren hierunter 2,45% geflüchtete Kinder inkludiert. Es zeigte sich jedoch zwischen den Einrichtungen eine hohe Varianz – gut ein Drittel der Einrichtungen betreute zum Erhebungszeitpunkt keine Kinder mit Fluchterfahrung, einzelne Einrichtungen wiesen hingegen einen hohen Anteil an Kindern mit Fluchterfahrung auf. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund ohne eigener Fluchterfahrung konnten Russisch (23,3%), Polnisch (14,9%) und Türkisch (14,0%) als meist gesprochene Erstsprachen konstatiert werden. Insgesamt wurden 31 unterschiedliche Erstsprachen aufgeführt, bei den Kindern mit Fluchterfahrung wurden 18 verschiedene Herkunftssprachen genannt (vgl. ebd. S. 173f.). Dieses Sample veranschaulicht damit beispielhaft den großen Sprachreichtum, der in Bildungsinstitutionen existiert und als Ressource genutzt werden kann.

Wie sind die Ergebnisse?

Obgleich einige Fachkräfte die Mehrsprachigkeit der Kinder positiv bewerten und teilweise explizit in den Alltag einbeziehen, existieren auch Ressentiments der pädagogischen Fachkräfte gegenüber des Gebrauchs anderer Erstsprachen als der deutschen Sprache, die insbesondere innerhalb durchgeführter Gruppeninterviews deutlich werden. Hierbei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Erstsprachen, die zum Teil mit dem Konzept des Sprachprestige (vgl. u.a. Haarmann 1990) zu erklären sind. So wird beispielsweise ein Junge mit thailändischer Erstsprache als sehr motiviert beschrieben und die Schnelligkeit des Spracherwerbs der deutschen Sprache positiv hervorgehoben. Die geflüchteten Kinder werden von den pädagogischen Fachkräften innerhalb mehrerer Gruppeninterviews als sehr bemüht dargestellt, die deutsche Sprache zu erlernen und ihnen wird ein Verständnis für Verständigungsprobleme entgegengebracht. In der Kommunikation mit den Eltern wird dabei auf Übersetzungstools oder Ähnliches zurückgegriffen. Demnach greift das Konzept des Sprachprestige als Erklärungsmodell für die Haltungen der pädagogischen Fachkräfte an dieser Stelle nicht. In Studien zum Sprachprestige einzelner Sprachen konnte gezeigt werden, dass Sprachen wie Russisch, Arabisch und Türkisch als ‚eher unsympathisch‘ empfunden werden, im Vergleich zu Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch als ‚eher sympathische‘ Sprachen (vgl. Adler/Silveira 2021, S. 4). In den Gruppeninterviews waren hingegen vor allem die Kinder mit russischer oder polnischer Erstsprache mit Ressentiments konfrontiert. Mehrere Fachkräfte vermuten, dass die russische oder polnische Sprache von den Kindern bewusst verwendet wird, um beispielsweise Schimpfwörter zu äußern. Dieses Argument dient dabei teilweise auch für das Erteilen von Verboten, sich in anderen Erstsprachen als der deutschen Sprache zu unterhalten. Die negative Sichtweise begründet sich daraus, dass die Kinder in der deutschen Sprache ebenfalls über ausreichende Sprachkompetenzen verfügen, sodass sie sich in beiden Sprachen verständigen können. Dass das Code-Switching – also der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Sprachen – jedoch ein normales Sprechverhalten bei mehrsprachigen Sprecher:innen darstellt und zum Teil unbewusst oder adressaten- bzw. themenorientiert erfolgt (vgl. u.a. Müller 2017), wird von den pädagogischen Fachkräften nicht gesehen. Das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen wären weitere pädagogische Argumente dafür, Kindertageseinrichtungen als mehrsprachigen Sprachraum zu gestalten, die insbesondere bei Kindern mit Fluchterfahrung von besonderer Bedeutung sind. Die Kinder werden damit zudem in ihrer Lebenswelt und mit ihren Erfahrungen ernstgenommen, was gleichzeitig positive Effekte auf die Beziehungsgestaltung haben kann.

Was kann das für die Praxis in Kindertageseinrichtungen bedeuten?

In mehreren Untersuchungen (vgl. u.a. Müller-Using/Speidel 2015; Wertfein/Wirts/Wildgruber 2015; Fried 2013) konnte gezeigt werden, dass sprachunterstützende Situationen, wie das Sustained Shared Thinking, innerhalb des pädagogischen Alltags verhältnismäßig selten vorkommen. Hierbei wird ein problemlösendes Denken und Weiterentwickeln forciert, welches von einer intensiven dialogischen Interaktion geprägt ist (vgl. Siraj-Blatchford et al. 2010, S. 21ff.). Die Interaktionen im pädagogischen Alltag sind hingegen häufig beeinflusst von Unterbrechungen sowie Störungen. Diese Tatsache wurde ebenfalls im Rahmen der Gruppeninterviews innerhalb des Dissertationsprojektes angeführt (vgl. Tessmer 2021, S. 206ff.). Ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, feste Bezugspersonen sowie möglichst störungsfreie Interaktionen sind Rahmenbedingungen, die bei geflüchteten Kindern von besonderer Relevanz sind. Für jene Formen bedarf es jedoch gleichwohl Rahmenbedingungen, die ein intensives Einlassen auf einzelne Kinder ermöglichen. Die aktuellen Rahmenbedingungen unter dem Einfluss des Fachkräftemangels machen es für pädagogische Fachkräfte immer schwieriger, jene unterstützenden Verhaltensweisen zu gestalten.

Die Datenerhebung innerhalb des Dissertationsvorhabens fand vor dem Ukrainekrieg statt. Hier zeigten sich deutliche Unterschiede in der Haltung der pädagogischen Fachkräfte zwischen geflüchteten Kindern und russisch oder polnischsprachigen Kindern. Daher kann keine valide Aussage darüber getroffen werden, inwieweit sich die Einstellungen der Fachkräfte diesbezüglich geändert haben. Dies betrifft vor allem die Vorbehalte gegenüber des Gebrauchs anderer Erstsprachen als der deutschen Sprache im pädagogischen Alltag. Vorhandene Sprachfähigkeiten der Kinder, die neben dem Deutschen auch Russisch, Polnisch oder Ukrainisch darstellen, könnten nun als besondere Ressource wahrgenommen werden. Die Kinder könnten gerade zur Anfangszeit, als Übersetzer:innen fungieren. Hierbei sind jedoch weitere pädagogische Aspekte zu berücksichtigen. Hierunter zählen insbesondere die Verantwortung, die den Kindern damit zugemutet wird, aber auch gruppendynamische Fragen von Inklusion und Exklusion. Zugleich könnte der Aspekt des Sicherheitsgefühls für die geflüchteten Kinder, welches durch den Gebrauch der Herkunftssprachen unterstützt werden kann, stärker ins Bewusstsein der pädagogischen Fachkräfte geraten. Ein weiterer Aspekt, der sich insbesondere innerhalb der Gruppeninterviews gezeigt hat, bildet die Homogenisierung der ‚Gruppe geflüchteter Kinder‘. Es zeigte sich beispielsweise, dass die pädagogischen Fachkräfte teilweise nicht genau differenzieren konnten, welche Herkunftssprachen die geflüchteten Kinder sprechen. Diese homogene Betrachtungsweise differenziert sich durch die zunehmende Anzahl geflüchteter ukrainischer Kinder vermutlich zumindest zu einer Dualität. Inwieweit die damit verbundene steigende Heterogenität innerhalb der geflüchteten Kinder zu einer grundsätzlich differenzierteren Wahrnehmung der pädagogischen Fachkräfte beiträgt, könnte ebenfalls in weiteren Untersuchungen erforscht werden. Ein weiteres Forschungsdesiderat entsteht in dem Spannungsfeld von zunehmender Zuwanderung und einem steigenden Fachkräftemangel. Kinder, die ohne (oder mit sehr geringen) Kenntnissen in der deutschen Sprache in eine Einrichtung aufgenommen werden, benötigen eine besondere Aufmerksamkeit seitens der pädagogischen Fachkräfte. Bei geflüchteten Kindern ist dies aufgrund der Erfahrungen vor und während der Flucht in besonderem Maße relevant, gleichzeitig machen die Entwicklungen des Feldes – bedingt durch den stetig steigenden Fachkräftemangel – es für die pädagogischen Fachkräfte immer schwerer, diesen individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Literatur

Adler, A.; Silveira M. R. (2021): Einstellungen zu Sprachen und mehrsprachigen Kindergärten. Sprache in Zahlen. Folge 5. In: Sprachreport Jg. 37 (2021) Nr. 4, S. 4-9.

Bock-Famulla, K./Münchow, A./Frings, J./Kempf, F./Schülz, J. (2020): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2019. Transparenz schaffen – Governance stärken. Gütersloh.

Bundeszentrale für politische Bildung (2021): Datenreport 2021. Kinder mit Migrationshintergrund in Kindertagesbetreuung. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/familie-lebensformen-und-kinder/329586/kinder-mit-migrationshintergrund-in-kindertagesbetreuung/ [29.04.2023].

Deutscher Bildungsserver (2022): Flüchtlingskinder in Kitas. Online verfügbar unter: https://www.bildungsserver.de/fluechtlingskinder-in-kitas-11436-de.html [29.04.2023].

Dirim, İ. (1998): «Var mɪ lan Marmelade?». Türkisch-deutscher Sprachkontakt in einer
Grundschulklasse. Münster: Waxmann Verlag.

Fleckenstein, J.; Möller, J.; Baumert J. (2017): Mehrsprachigkeit als Ressource. Kompetenzen dual-immersiv unterrichteter Schülerinnen und Schüler in der Drittsprache Englisch. In: ZfE (2018) 21: Wiesbaden: Springer Fachmedien. Seite 97–120.

Fried, L. 2013: Die Qualität der Interaktionen zwischen frühpädagogischen Fachkräften und Kindern – Ausprägungen, Moderatorvariablen und Wirkungen am Beispiel DO_RESI. In: Fröhlich-Gildhoff, K./Nentwig-Gesemann, I./König, A./Stenger, U./Weltzien, D. (Hrsg.). Forschung in der Frühpädagogik VI. Schwerpunkt: Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern. Materialien zur Frühpädagogik. Freiburg: FEL Verlag. Seite 35-58.

Gogolin, I. (2008): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. 2. Auflage. Münster: Waxmann Verlag. Seite 78-105.

Haarmann, H. (1990): Sprache und Prestige. Sprachtheoretische Parameter zur Formalisierung einer zentralen Beziehung. Zeitschrift für romanische Philologie Band  106, Heft 1/2.

Müller, N. (2017). Code-Switching. Tübingen: Narr Francke Attempto

Müller-Using, S./Speidel, H. (2015): Gesprochene Sprache von ErzieherInnen. Erste Ergebnisse zum Sprach-Alltag in Kindertageseinrichtungen. In: Hoffmann, H./Borg-Tiburcy, K./Kubandt, M./Meyer, S./Nolte, D. (Hrsg.). Alltagspraxen in der Kindertageseinrichtung. Annäherungen an Logiken in einem expandierenden Feld. Weinheim, Basel: Beltz Juventa Verlag. Seite 203-229.

Roth, H.-J. (2006): Mehrsprachigkeit als Ressource und als Bildungsziel. In: Günther,
Hartmut/Bredel, Ursula/Becker-Mrotzek, Michael (Hrsg.). KoeBes Kölner Beiträge zur
Sprachdidaktik, Heft 4. Köln: Gilles & Francke, Seite 11-14.

Siraj-Blatchford, I./Sylva, K./Taggart, B./Melhuis, E./Sammons, P. (2010): Das Projekt „The Effective Provision of Pre-School Education”. Wirksame Bildungsangebote im Vorschulbereich – EPPE. In: Sylva, K./Taggart, B. (Hrsg.). Frühe Bildung zählt. Das Effective Pre-School ans Primary Education Projekt (EPPE) und das Sure Start Programm. Berlin: Dohrmann Verlag. Seite 15-27.

Tessmer, E. (2021): Sprachendidaktik in der Frühpädagogik. Eine Analyse alltagsintegrierter Sprachenbildung unter Berücksichtigung institutioneller Rahmenbedingungen. Opladen, Berlin & Toronto: Budrich Academic Press.

Wertfein, M./Wirts, C./Wildgruber, A. (2015): Bedingungsfaktoren für gelingende Interaktionen zwischen Erzieherinnen und Kindern. Ausgewählte Ergebnisse der BIKE-Studie. IFP-Projektbericht 27/2015. Handlungsfeld: (Weiter-)Entwicklung von Curricula. Online verfügbar unter: www.ifp.bayern.de [07.05.2019].

Netzwerk kindheitspädagogische Hochschuldidaktik: Diskurse an der Schnittstelle zwischen Disziplinentwicklung und Professionalisierung

| Ina Kaul & Peter Cloos |

Ausgangslage

Sozial- und kindheitspädagogische Fachkräfte erbringen für die Gesellschaft essentielle Leistungen. Zugleich ist sozial- und kindheitspädagogisches Handeln[1] geprägt von Ungewissheiten, widersprüchlichen Anforderungen und von Deutungsoffenheit (Schütze 2000; Cloos 2020). Die professionellen Fachkräfte sind gefordert, trotz fehlender konkreter empirischer Absicherung, folgenschwere Entscheidungen zu treffen (Schütze 2007) sowie dieses Handeln reflexiv unter Einbezug von professionellen Methoden und professionsethischen Richtlinien abzusichern. Professionelle müssen ihr Handeln stetig zwischen der Anwendung von (routiniertem) und regelhaftem Wissen und dem Verstehen und Durchdringen des konkreten Falls ausbalancieren. Im Sinne einer so reflektierten Praxis kann professionelles Handeln als Wissensarbeit verstanden werden, die sich am jeweiligen Fallbezug bewährt. Das über Qualifizierungen erworbene Wissen einer höhersymbolischen Sinnwelt (Schütze 2007) – also wissenschaftliches und damit verifizierbares Wissen, was als valide gilt – ist auf die konkrete pädagogische Alltagspraxis insgesamt und fallgebunden anzuwenden. Dabei wird von Professionellen verlangt, sowohl eine genaue Deutung des Problems unter Beachtung der jeweiligen Besonderheit des Falles vorzunehmen als auch die Fähigkeit aufzuweisen, alternative Lösungswege gegeneinander abzuwägen. Dies erfordert die Kompetenz des hermeneutischen Fallverstehens, der Fähigkeit, die pädagogische Situation auf Grundlage des komplexen Wissens aus unterschiedlichen Wissensbereichen (North/Güldenberg/Dick 2016) kontextbezogen in Bezug auf den jeweiligen Fall zu verstehen (Oevermann 2007). Zugleich ist sozial- und kindheitspädagogisches Handeln in der Regel in organisationale Kontexte eingebettet und aufgefordert, die historisch gewachsenen gesamtgesellschaftlichen, rechtlichen und sozial- und bildungspolitischen Bedingungen und (begrenzten) Möglichkeiten professionell-organisationalen Handelns zu reflektieren (Schütze 2007; Meiner-Teubner/Fuchs-Rechlin 2021). Ziel ist letztlich die Aushandlung hinsichtlich eines adäquaten Handelns im Sinne der Adressat*innen, aber auch mit Bezug zur eigenen Professionsethik und mit Blick auf die gesellschaftspolitischen und organisationalen Rahmungen.

Was will NetKiD und welche Überlegungen sind zentral?

Wird diesen Überlegungen gefolgt, sind sozial- wie kindheitspädagogische Qualifizierungskontexte an Professionalisierungszielen auszurichten, die auf Konzepten einer reflexiven „Verwissenschaftlichung“ (Cloos 2020, S. 164) basieren. Dies bedeutet für Lehr-Lernzusammenhänge die Ermöglichung, das zukünftige pädagogische Handeln zwischen Wissen, Können und Reflexion auszubalancieren. Für die hochschulische sozial- und kindheitspädagogische Lehre ist demnach einerseits eine Vermittlung und Auseinandersetzung mit umfassendem, kontextunabhängigem, spezifischem und abstraktem wissenschaftlichen Wissen zentral, welches sich – erziehungswissenschaftlich konturiert – auch aus unterschiedlichen disziplinären Kontexten speist (Cloos 2020). Andererseits ist darauf vorzubereiten, die spezifischen und individuellen Lebenslagen und Lebenswelten der Adressaten*innen sowie die jeweils unterschiedlich pädagogischen Kontexte in den Blick zu nehmen, um entsprechend fall- und situationsorientiert sowie individuell, aber auch übergreifend kollektiv  handeln zu können. Dem entsprechend bedarf es Lehr-Lernarrangements, die es ermöglichen, bisherige habituelle Orientierungen[2] durch das Studium zu irritieren und unterschiedliche Wissensbestandteile (theoretisches, biografisches, praxisbezogenes Wissen) entsprechend handlungsbezogen und fallspezifisch anzuwenden. Nicht zuletzt ist die eigene Handlungspraxis zu reflektieren, um sich als professionelle*r Akteur*in zu positionieren. Reflexion ist dabei als eine genuin pädagogisch-habituelle Orientierung zu verstehen und als wesentliche Grundlage pädagogischen Handelns anzuerkennen (grundlegend hierzu Zehbe/Kaul 2024; Nentwig-Gesemann et al. 2011).

Für Lehrkontexte ist damit eine Verzahnung von Wissen, Reflexion und Handeln bedeutsam und unerlässlich, welches Studierenden die Möglichkeit gibt, sich mit theoretischen, interdisziplinären Zugängen, dem eigenen Gewordensein aufgrund biografischer Erfahrungen, aber auch dem zumeist bereits erlebten Zusammenhängen pädagogischer Praxis, z. B. über Praktika, auseinanderzusetzen. Um diesen Anforderungen über Qualifizierungskontexte gerecht zu werden, scheint es erforderlich und aufschlussreich, sich dem konkreten Studium und damit dem hochschulischen Professionalisierungsprozess zu widmen: Die vielfältigen Lehr-Lern-Prozesse und Arrangements sozial- und kindheitspädagogischer Studiengänge sind bisher kaum in den Blick gekommen und es ist zu klären, was hier mit welchem Ziel in welcher Form eine Professionalisierung befördert.

Zudem zeigt sich, dass sich aufgrund gestiegener Professionalisierungsbedarfe in der Sozial- und Kindheitspädagogik (Hechler/Hykel/Pasternack 2021) das Feld der Qualifizierung erheblich ausdifferenziert hat. So sind bspw. unterschiedliche Studiengänge entstanden, die sich mit Fragen der Gestaltung und Begleitung kindlichen Aufwachsens befassen, die aber unterschiedlichen Fachbereichen zugeordnet sind: Kindheitspädagogik, Erziehungswissenschaft, Sozialpädagogik, Humanwissenschaften. Nicht zuletzt ist in dieser Reihung auch die berufliche Fachrichtung Sozialpädagogik zu nennen, die insbesondere für Lehr-Lern-Kontexte der Aus-, Fort- und Weiterbildung (u.a. für Fachschulen der Sozialpädagogik) qualifiziert. Eine sozial- und kindheitspädagogische Hochschuldidaktik muss auch der Vielfalt dieser hochschulischen Kontexte gerecht werden.

Wie gehen wir deswegen vor: Spezifika einer sozial-bzw. kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik

Hochschuldidaktik ist eine wesentliche Schnittstelle für Qualifizierungsprozesse (Arn 2017; Heiner 2013). Eine sozial- bzw. kindheitspädagogische Hochschuldidaktik zeichnet sich jedoch nochmals durch zwei wesentliche Perspektiven aus, die an die Lehrpraxis bestimmte Ansprüche richtet. Sie zielt erstens darauf ab, Studierende für die vielfältigen früh- und sozialpädagogischen Tätigkeiten und Praxisfelder zu qualifizieren (u. a. Studiengangstag Pädagogik der Kindheit 2015), um als pädagogische Expert*innen agieren zu können, die eigenverantwortlich, selbständig und fachlich begründet denken und handeln (Nentwig-Gesemann 2017, S. 236). Die Schwerpunkte der späteren handlungspraktischen Tätigkeiten liegen dann „in der erkenntnisgenerierenden Erforschung, der Konzeptionierung und der didaktischen, organisationalen und sozialräumlichen Unterstützung von Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindheit und Familie. Dies schließt die wissenschaftlich begründete, kritische Reflexion gesellschaftlicher Konstruktionen und Bedingungen von Kindheit und Familie sowie die Mitwirkung an der sozialen, politischen und kulturellen Gestaltung und Sicherung eines guten und gelingenden Aufwachsens von Kindern ein“ (Studiengangstag Pädagogik der Kindheit 2015, S. 2). Damit muss Lehre im Kern eine Verhältnisbestimmung von Wissen, Können und Reflexion ermöglichen, die einen starken Theorie-Praxis-Bezug mit dem Anspruch einer dialogischen Wissenstransformation (Göbel/Kaul/Schmidt 2020) stützt. Dies bedeutet dann auch, dass theoretisches bzw. empirisches Wissen nicht eindimensional von der hochschulischen Lehre in die Praxis überführt werden kann, sondern ebenso zu berücksichtigen ist, dass auch in Praxis bedeutsames Wissen vorhanden ist. Dies heißt, es bedarf nicht nur besonderer Übersetzungsleistungen durch Lehrende, sondern didaktische Formen, die es ermöglichen, wissenschaftliches Wissen in den Dialog zu (berufs-)biografische Erfahrungen und dem (möglicherweise) in Praxiskontexten bereits gewonnenen Wissen zu bringen. Ein Theorie-Praxis-Bezug ist demnach mehrdimensional anzulegen.

Zweitens muss sich Hochschuldidaktik in den angesprochenen Qualifizierungsfeldern der Besonderheit des doppelten Vermittlungsbezugs über Lehr-Lern-Kontexte bewusst sein, die zumeist nur für die Lehrer*innenbildung thematisiert wird (u.a. Wahl 2001; Göddertz/Karber 2019; Kaul 2024). Das bedeutet: Hochschullehrende arbeiten gemeinsam mit Studierenden, die in der Handlungspraxis Bildungsprozesse anstoßen und begleiten sollen. Es geht demnach darum, Bildungsprozesse bei Studierenden anzuregen, die später selbst Bildungsprozesse bei Adressat*innen herstellen, begleiten und gestalten. Für Studiengänge, die auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung abzielen und u.a. für die Lehre an Fachschulen/Fachakademien für Sozialpädagogik ausbilden, ist von einer dreifachen Vermittlungspraxis auszugehen: In der Hochschule werden zukünftige Lehrende qualifiziert, die in der Berufsbildung Schüler*innen lehren, die in der späteren Praxis Kinder und Jugendliche in Bildungs- und Erziehungssettings begleiten. Der dabei entstehende Doppelbezug und die Dopplung von Lehr-Lern-Prozessen bringt für Fragen der Hochschuldidaktik besondere Spannungs- und Reflexionsfelder mit (Kaul 2024).

Das Ergebnis dieser Überlegungen: Netzwerk kindheitspädagogische Hochschuldidaktik

Mit Blick auf die genannten Herausforderungen und Besonderheiten einer sozial- wie kindheitspädagogischen Lehre ist an die vorausgegangenen Überlegungen zusammenfassend zu festzuhalten, dass theoretische Diskurse, empirische Arbeiten und konzeptionelle Vorschläge zu einer sozial- und kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik kaum zu finden sind. Diesem Desiderat widmet sich das 2021 neu gegründete Netzwerk kindheitspädagogische Hochschuldidaktik (NetKiD). Dieses hat sich das Ziel gesetzt, in diesem Forschungs- und Handlungsfeld Grundlagen zu erarbeiten und zu diskutieren, Konzepte und Methoden zu entwickeln sowie zu etablieren und nicht zuletzt über empirische Forschung zu einer Konsolidierung einer sozial- bzw. kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik beizutragen. Damit leistet das Netzwerk einen nachhaltigen Beitrag sowohl zur disziplinären Entwicklung und Ausdifferenzierung als auch zur Qualitätssicherung und -steigerung von sozial- bzw. kindheitspädagogischen Lehr-Lern-Kontexten und -prozessen für Studierende an deutschen Hochschulen und Universitäten. Die direkte Verzahnung der Netzwerkarbeit mit Studierenden der Studiengänge ermöglicht zudem einen dialogischen Theorie-Praxis-Transfer (Sehmer/Marks/Thole 2019; Blatter/Schelle 2022).

Das Netzwerk möchte folgende Felder bearbeiten:

Grundlagen: Das Netzwerk strebt an,eine theoriebasierte Kartografie und Verhältnisbestimmung von sozial- und kindheitspädagogische (Hochschul-)Didaktik zu erarbeiten. Befragt werden dabei v.a. Lehr-Lern-Arrangements auf ihre Bedeutsamkeit für die Professionalisierung und Qualifizierung (angehender) pädagogischer Fachkräfte. Auf diese Weise will das Netzwerk die Entwicklung entsprechender Lehr-Lern-Kontexte nachhaltig fördern und die Qualität in der Lehre befragen und vorantreiben (bspw. Cloos/Jung 2021; Lochner/Kaul/Gramelt 2021; Zehbe/Kaul 2024). Erste kindheitspädagogische Publikationen beschäftigen sich bereits intensiver mit spezifischen hochschuldidaktischen Zugängen, wie dem forschenden Lernen (Lochner/Kaul/Gramelt 2021; Gerstenberg 2022a; Zehbe/Kaul 2024), der kasuistischen Fallarbeit (Gerstenberg 2022b; Krähnert/Zehbe/Cloos 2022) und der Vermittlung von Reflexivität (Kaul/Zehbe 2024). Hieran möchte das Netzwerk anschließen.

Konzepte und Methoden: Aufbauend auf der Erarbeitung und Vermessung hochschuldidaktischer Grundladen werden Konzepte und Methoden einer kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik sowie angrenzende Fragen aus sozialpädagogischer Perspektive (weiter)entwickelt, erprobt und mit fachwissenschaftlichen und hochschulpolitischen Akteur*innen diskutiert. Besondere Beachtung findet hierbei der Umgang mit Diversität, sowohl hinsichtlich der potenziell diversen Lerngruppen in der Hochschullehre als auch im Sinne eines Schlüsselkonzepts für kindheitspädagogisches Handeln im Sinne des doppelten Vermittlungsprinzips (bspw. Cloos et al. 2018 u. w.; Cloos/Garbade 2022; Cloos/Gerstenberg; Kubandt 2021).

Forschung: Das Netzwerk identifiziert Forschungsdesiderate der sozial- und kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik und entwickelt darauf aufbauend Forschungsperspektiven und -vorhaben. Dies erfolgt in Verknüpfung mit der Auseinandersetzung mit den Grundlagen, Konzepten und Methoden einer sozial- und kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik, die explizit die Qualität der Lehr-Lernprozesse anvisiert und im Sinne der Third Mission Lehr-Forschungsverzahnungen realisiert. Auf diese Weise sollen eine sozial- und kindheitspädagogische Hochschuldidaktik und damit verbundene Konzepte und Methoden empirisch abgesichert und weiter ausdifferenziert werden.

Was kann das für die kindheitspädagogische Praxis bedeuten?

Im Netzwerk werden hochschuldidaktische Fragen der sozial- und kindheitspädagogischen Lehre an den drei Schnittstellen Grundlagen, Konzepte und Methoden sowie Forschung mit der Perspektive auf die hochschulische Qualifizierung und Professionalisierung von sozial- und kindheitspädagogischen Fachkräften über einen kontinuierlichen vernetzten Austausch über Bundesland- und Hochschulgrenzen hinweg, aber auch durch Publikationen und Tagungen angeregt.

Zusammenfassung

Sozial- und kindheitspädagogische Lehrpraxis, die den oben diskutierten Grundannahmen und Implikationen zur Entwicklung beruflich-habitueller Profile (Cloos/Lochner 2021) bei Studierenden Rechnung tragen will, muss demnach kritische Reflexionen ermöglichen und den Raum für die Thematisierung von Irritationen anbieten, um Anschlüsse und Aneignungsprozesse zu begleiten und zu unterstützen. Für die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements ist daher eine fragende, verstehende und kritische-reflexive Lehrorientierung notwendig (Kaul 2024; Zehbe/Kaul 2024). Damit sind auch Lehrkonzepte immer wieder kritisch zu hinterfragen oder auch zur diskutieren. Benötigt wird aber auch empirisches Wissen beispielsweise darüber, wie sich in der Berufsbiografie beruflich-habituelle Profile herausbilden, wie das Verhältnis von „herkunfts-, organisations-, berufs- und handlungsfeldspezifischen habituellen Differenzen“ (Bischoff-Pabst/Cloos 2019, S. 347) kindheitspädagogisch (oder auch sozialpädagogisch) zu denken ist und welche Bedeutung dabei hochschulischen Lehr- und Lernkontexten zukommt. Das Netzwerk kindheitspädagogischer Hochschuldidaktik möchte diesen Fragen nachgehen und damit einen Beitrag zur weiteren Fundierung sozial– und kindheitspädagogischer Hochschulqualifizierung leisten.

Literaturverzeichnis

Arn, Christof (2017): Agile Hochschuldidaktik. 2., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.

Bischoff-Pabst, Stefanie/Cloos, Peter (2019): Ethnografie des Habitus von Pädagoginnen und Pädagogen. In: Kramer, Rolf-Torsten/Pallesen, Hilke (Hrsg.): Lehrerhabitus. Theoretische und empirische Beiträge zu einer Praxeologie des Lehrerberufs. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 331–350.

Blatter, Kristine/Schelle, Regine (2022): Wissenstransfer in der frühen Bildung. Modelle, Erkenntnisse und Bedingungen. Expertise. München: DJI.

Cloos, Peter (2020): Kindheitspädagogik als Projekt. Überlegungen zu einem sich neu konturierenden Forschungs-, Praxis- und Professionsfeld. In: Cloos, Peter/Lochner, Barbara/Schoneville, Holger (Hrsg.): Soziale Arbeit als Projekt. Konturierungen von Disziplin und Profession. 1. Auflage 2020. Wiesbaden: Springer VS. S. 159–170.

Cloos, Peter/Bischof-Papst, Stefanie/Nentwig-Gesemann, Iris/Schulz, Marc. „Fallarchiv Kindheitspädagogische Forschung (FalKi). Online-Zeitschrift zu Qualitativen Methoden in Forschung und Lehre“. https://www.uni-hildesheim.de/ojs/index.php/FalKi/Startseite (Abfrage 21.10.2022).

Cloos, Peter/Garbade, Svenja. „Mobile Diversitätswerkstatt Kindheitspädagogik (DivSpace). Gefördert vom: Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur“. https://www.uni-hildesheim.de/kompetenzzentrum-fruehe-kindheit/aktuelle-forschungsprojekte/mobile-diversitaetswerkstatt-kindheitspaedagogik-divspace/ (Abfrage 20.10.2022).

Cloos, Peter/Gerstenberg, Frauke. „Plattformgestütztes Forschendes Lernen in der kindheitspädagogischen Qualifizierung (PForLe). Methodik verstehen. Fallverständnis schaffen: Online-Materialien für das forschungs- und fallorientierte Lehren und Lernen“. uni-hildesheim.de/bibliothek/forschen-publizieren/forschungsportale/methodenforum-fallzentrale-plattform-fuer-forschungs-und-fallorientierte-lehre/ (Abfrage 21.10.2022).

Cloos, Peter/Jung, Edita (2021): Kindheitspädagogische Qualifizierung an Hochschulen – Zwischen den Erwartungshorizonten und Realitäten des frühpädagogischen Feldes. In: Bildung und Erziehung 74, H. 2, S. 135–151.

Cloos, Peter/Lochner, Barbara (2021): Habitus und Forschendes Lernen im Studium der Kindheitspädagogik. In: Lochner, Barbara/Kaul, Ina/Gramelt, Katja (Hrsg.): Didaktische Potenziale qualitativer Forschung in der kindheitspädagogischen Lehre. Weinheim: Beltz Juventa. S. 18–55.

Gerstenberg, Frauke. „Jeder Papierfall (k)ein Realfall? Zum Verhältnis von Fallverstehen und Forschendem Lernen im Kontext kindheitspädagogischer Hochschullehre. Plattform für Forschungs- und Fallorientiertes Lernen: Fallzentrale – Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim“. https://doi.org/10.18442/pforle-f-4 (Abfrage 29.03.2023).

Gerstenberg, Frauke. „Learning the disruptive – Qualitative Forschungsmethoden und Forschendes Lernen in der kindheitspädagogischen Hochschullehre. Plattform für Forschungs- und Fallorientiertes Lernen: Methodenforum – Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim“. https://doi.org/10.18442/pforle-m-4 (Abfrage 29.03.2023).

Göbel, Sabrina/Kaul, Ina/Schmidt, Desirée (2020): Möglichkeitsräume dialogischer Wissenstransformation. In: Cloos, Peter/Lochner, Barbara/Schoneville, Holger (Hrsg.): Soziale Arbeit als Projekt. Konturierungen von Disziplin und Profession. 1. Auflage 2020. Wiesbaden: Springer VS. S. 185–197.

Göddertz, Nina/Karber, Anke (2019): Berufliche Bildung Sozialpädagogik – Eine Spurensuche didaktischer Prinzipien. In: Soziale Passagen 11, H. 1, S. 65–80.

Hechler, Daniel/Hykel, Theresa/Pasternack, Peer (2021): Disziplinentwicklung der Kindheitspädagogik. Eine empirische Bestandsaufnahme anderthalb Jahrzehnte nach Einrichtung der neuen Studiengänge. München: Deutsches Jugendinstitut e.V.

Heiner, Matthias (Hrsg.) (2013): Professionalisierung der Lehre. Perspektiven formeller und informeller Entwicklung von Lehrkompetenz im Kontext der Hochschulbildung. Bielefeld: Bertelsmann.

Krähnert, Isabell/Zehbe, Katja/Cloos, Peter (2022): Elterngespräche als vulnerante Settings in inklusiven Kontexten – Fallorientiertes Lernen in der Qualifizierung für inklusive Bildung. In: Strecker, Alica/Becker, Jonas/Buchhaupt, Felix/Katzenbach, Dieter/Lutz, Deborah/Urban, Michael (Hrsg.): Qualifizierung für Inklusion. Elementarbereich. Münster: Waxmann. S. 63–77.

Kubandt, Melanie (2021): Praktiken als Produzent*innen von Wirklichkeit. In: Lochner, Barbara/Kaul, Ina/Gramelt, Katja (Hrsg.): Didaktische Potenziale qualitativer Forschung in der kindheitspädagogischen Lehre. Weinheim: Beltz Juventa. S. 132–158.

Lochner, Barbara/Kaul, Ina/Gramelt, Katja (Hrsg.) (2021): Didaktische Potenziale qualitativer Forschung in der kindheitspädagogischen Lehre. Weinheim: Beltz Juventa.

Meiner-Teubner, Christiane/Fuchs-Rechlin, Kirsten (2021): Sozialstaatliche Rahmungen professionellen Handelns. Paradoxien forschend erkennen und reflexiv bearbeiten. In: Lochner, Barbara/Kaul, Ina/Gramelt, Katja (Hrsg.): Didaktische Potenziale qualitativer Forschung in der kindheitspädagogischen Lehre. Weinheim: Beltz Juventa. S. 159–178.

Nentwig-Gesemann, Iris (2017): Berufsfeldbezogene Forschungskompetenz als Voraussetzung für die Professionalisierung der Frühen Bildung, Betreuung und Erziehung. In: Balluseck, Hilde von (Hrsg.): Professionalisierung der Frühpädagogik. Perspektiven, Entwicklungen, Herausforderungen. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. S. 235–244.

Nentwig-Gesemann, Iris/Fröhlich-Gildhoff, Klaus/Harms, Henriette/Richter, Sandra (2011): Professionelle Haltung – Identität der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren. Eine Expertise der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). München: DJI.

North, Klaus/Güldenberg, Stefan/Dick, Michael (2016): Wissensarbeit(er). In: Dick, Michael/Marotzki, Winfried/Mieg, Harald A. (Hrsg.): Handbuch Professionsentwicklung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. S. 125–138.

Oevermann, Ulrich (2007): Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In: Combe (a), Arno/Helsper, Werner (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. 9. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 70–182.

Schütze, Fritz (2000): Schwierigkeiten bei der Arbeit und Paradoxien des professionellen Handelns : ein grundlagentheoretischer Aufriß. In: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung 1, H. 1, S. 49–96.

Schütze, Fritz (2007): Organisationszwänge und hoheitsstaatliche Rahmenbedingungenim Sozialwesen: Ihre Auswirkung auf die Paradoxien des professionallen Handelns. In: Combe (a), Arno/Helsper, Werner (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. 9. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 183–275.

Sehmer, Julian/Marks, Svenja/Thole, Werner (2019): Wissen im Dialog. In: Sozial Extra 43, H. 4, S. 259–262.

Studiengangstag Pädagogik der Kindheit. „Studiengangstag Pädagogik der Kindheit Berufsprofil Kindheitspädagogin/Kindheitspädagoge“. https://www.ash-berlin.eu/fileadmin/Daten/Bachelor-Studiengaenge/EBK/Berufsprofil_Kindheitspaedagogik_01.06.2015.pdf (Abfrage 21.10.2022).

Wahl, Diethelm (2001): Nachhaltige Wege vom Wissen zum Handeln. In: Beiträge zur Lehrerbildung 19, H. 2, S. 157–174.

Zehbe, Katja/Kaul, Ina (Hrsg.) (2024): Reflexivität in Lehre und Profession. Beiträge zu didaktischen Arrangements für Lehr-Lern-Formate in kindheitspädagogischen Studiengängen. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.


[1] Fokussiert wird in dieser Perspektive die professionelle Begleitung kindlichen Aufwachsens in unterschiedlichen Handlungsfeldern, die auch eine Schnittstelle zwischen Sozial- und Kindheitspädagogik darstellt.

[2] Gemeint sind damit über biografische Zusammenhänge erworbene individuelle Erfahrungen, familiäre Prägungen und einsozialisierte Gewohnheiten, Denkmuster und Haltungen, denen man sich zum Teil nicht bewusst ist.

Call for Participation: Herausforderungen einer diversitätsreflexiven Professionalisierung

| In eigener Sache |

Diversitätsreflexive Professionalisierung ist in der Kindheitspädagogik mit der Hoffnung verbunden, die Bildungsungleichheiten bei Kindern aufgrund von unbewussten Zuschreibungen hinsichtlich Klasse, Geschlecht, Herkunft, Ability und Körper auszugleichen und die Kinder gleichermaßen in ihrer Entwicklung zu fördern (Betz 2010; Cloos/Jung 2021). Daraus können sich unterschiedliche Herausforderungen ergeben:

  • Auf der individuellen Ebene begegnen Fachkräfte der Diversität von Adressat*innen in kindheitspädagogischen Handlungsfeldern und müssen sich zu ihnen verhalten, sei es in Interaktionen, mit (Spiel)Materialien oder Projekten oder auch in familiären Kontexten der Zusammenarbeit.
  • Auf der konzeptionellen Ebene werden unterschiedliche reflexive Ansätze und Konzepte bereitgestellt, in denen Diversitätsreflexivität über Methoden, Techniken und Medien entworfen werden (Wagner 2008).
  • Auf der strukturellen Ebene stehen Herausforderungen der Reifizierung, Dramatisierung wie auch die Anerkennung der Vielfalt vor habitualisierter Differenzerfahrungen im Mittelpunkt der theoretischen Betrachtung (Kuhn 2021).
  • Auf der Ebene zwischen Kindern als Akteur*innen kann thematisiert werden, wie diese in Interaktionen untereinander oder mit Material Diversität begegnen, diese gestalten oder auch mit möglichen Irritationen umgehen.

 Mit diesem Call laden wir dazu ein, Blogbeiträge im Umfang von ca. 10 000 – 13 000 Zeichen für unseren Blog Diversekindheiten.de zu verfassen. Der Blog stellt regelmäßig Beiträge zu Forschungs(zwischen)ergebnissen kostenfrei online zur Verfügung, um den Austausch und Transfer zwischen Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft praxisorientiert und aktuell zu gestalten.

Wir freuen uns auf Beiträge, die sich aus Projektkontexten, Dissertationsvorhaben oder Lehr-Lern-Forschungsprojekten heraus mit einem der folgenden Aspekte beschäftigen:

  • Wie werden die Anforderungen einer Diversitätsreflexivität an pädagogische Praxis in kindheitspädagogischen Handlungsfeldern wahrgenommen?
  • Welche Perspektiven haben verschiedene Akteur*innengruppen (Eltern, Kinder, pädagogische Fachkräfte) auf Diversität?
  • Wie können sich Institutionen der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung sich selbst in den Blick nehmen und im Sinne von Organisationsentwicklung verändern?
  • Welche Konzepte und Ansätze scheinen aussichtsreich zur Umsetzung der Anforderung einer Diversitätsreflexiven Professionalisierung in kindheitspädagogischer Praxis?
  • Wie kann in kindheitspädagogischer Qualifizierung die Ausbildung von Diversitätsreflexivität gefördert und unterstützt werden?

Alle Beiträge werden von den Herausgeberinnen begleitet. Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen bis zum 30.04.2023 an DiverseKindheiten@uni-hildesheim.de. Bitte beachten Sie die Informationen für Autor*innen auf der Homepage. Die Beiträge werden voraussichtlich im Sommer 2023 veröffentlicht.

Ihre Herausgeberinnen Svenja Garbade und Katja Zehbe

Betz, T. (2010). Kompensation ungleicher Startchancen. Erwartungen an institutionalisierte Bildung, Betreuung und Erziehung für Kinder im Vorschulalter. In Erziehung und Bildung von Kindern als gemeinsames Projekt : zum Verhältnis familialer Erziehung und öffentlicher Kinderbetreuung (S. 113-134). Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren.

Cloos, P. & Jung, E. (2021). Kindheitspädagogische Qualifizierung an Hochschulen – Zwischen den Erwartungshorizonten und Realitäten des frühpädagogischen Feldes. Bildung und Erziehung, 74(2), 135-151.

Kuhn, M. (2021). Differenz als grundlegender Bezugspunkt Forschenden Lernens. In B. Lochner, I. Kaul & K. Gramelt (Hrsg.), Didaktische Potenziale qualitativer Forschung in der kindheitspädagogischen Lehre (Kindheitspädagogische Beiträge, 1. Auflage, S. 56-70). Weinheim: Beltz Juventa.

Wagner, P. (Hrsg.). (2008). Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als Chance – Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Freiburg: Herder.

Interaktion in frühpädagogischen Einrichtungen als Choreografie von Inklusion und Exklusion

| Laura von Albedyhll |

Was will das Projekt/Was ist das Phänomen?

Die frühpädagogische Praxis ist geprägt von Interaktionen: Kinder, pädagogische Fachkräfte, Erziehungsberechtigte und Trägerverantwortliche sind nur einzelne Akteur:innen, die in verschiedenen Situationen miteinander interagieren. Dabei wird hier „Interaktionen als konkrete unmittelbare Begegnungen zwischen zwei (oder mehreren) Menschen verstanden (…), welche direkt beobachtbar sind.“ (Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Wadepohl & Mackowiak, 2016, S.7). Interaktion in frühpädagogischen Settings wird im wissenschaftlichen Kontext häufig unter einen normativen Fokus gesetzt: Was ist „gute“ Interaktionsgestaltung? Wie kann in Interaktion Bildung maximal gefördert werden? Spezifischer spielt Interaktion bei zentralen frühpädagogischen Konzepten wie beispielsweise Sustained-Shared-Thinking (Siraj-Blatchford, 2009) eine Rolle. Die Frage der Qualität solcher Interaktionen ist von so großer Bedeutung, dass mindestens ein standardisiertes Tool zu ihrer Messung entwickelt wurde (CLASS, vgl. Weltzien et.al., 2016), auf das in Forschungskontexten zurückgegriffen wird.

Das vorgestellte Projekt geht einen Schritt zurück. Statt unter normativem Blick Gelingensbedingungen von Fachkraft-Kind-Interaktionen zu untersuchen, wird der Blick auf das gerichtet, was tatsächlich stattfindet. In der Rekonstruktion der Handlungen aller Akteur:innen einer Kleingruppe soll eine Theorie der Interaktion in der Frühpädagogik entwickelt werden, die über die Frage der guten Praxis hinaus geht. Vielmehr wird danach gefragt, wie die an der Interaktion beteiligten Akteur:innen wechselseitig das Interaktionsgeschehen beeinflussen und welche Verhältnisse der Akteur:innen untereinander sichtbar werden. Dabei ist es auch das Ziel, den Blick für Akteur:innen zu weiten, die nicht-menschlich sind. Die Relevanz der Dinge in frühpädagogischen Einrichtungen ist kein neuer Blickwinkel (Cloos, Bensel, Haug-Schnabel, Wadepohl & Weltzien, 2018, S. 13). Dinge rahmen zum einen Interaktionsgeschehen, zum anderen interagieren wir mit und an ihnen. Sie begrenzen Handlungsräume, können uns auffordern oder Normen transportieren. An Dinge können bestimmte Regeln für den Umgang mit ihnen geknüpft sein, durch die Rückschlüsse möglich sind auf Machtverhältnisse in den Räumen, für die die Regeln gelten. So ist beispielsweise die Kreide im schulischen Kontext ein Ding, mit dem vorrangig lehrende Personen agieren oder Personen, die von lehrenden Personen geprüft werden. Sie transportiert in diesem Setting die Rolle der zeigenden Person.  Zu jedem Zeitpunkt sind wir umgeben von Dingen, in deren Gebrauch wir hineinsozialisiert wurden, mit denen wir Ideen verbinden, an die wir Handlungsroutinen knüpfen, mit denen wir in Interaktion treten (Stieve, 2008). Die Fachkraft-Kind-Interaktion in der Frühpädagogik zu betrachten heißt also auch, die Dinge zu betrachten, die mit den Akteur:innen gemeinsam die Situation gestalten.

Wie sind wir vorgegangen?

Um sog. „Fachkraft-Kind-Ding-Interaktionen“ in frühpädagogischen Einrichtungen zu untersuchen, wurden Videografien des frühpädagogischen Alltags genutzt. Das Datenmaterial wurde im Projekt „SpriKIDS – Sprachförderung im Kindergartenalltag in Dialekt und Standardsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit“ (https://www.sprikids.org/) aufgenommen und stammt aus Einrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. SpriKIDS ist ein von Interreg finanziertes Forschungsprojekt der PH Weingarten, PH St. Gallen, SHLR, PH Graubünden und PH Vorarlberg unter der Leitung von Prof. Dr. Cordula Löffler, Prof. Dr. Franziska Vogt und Dr. Eva Frick, das von 2016 bis 2019 Kinder am Übergang vom Kindergarten zur Grundschule begleitete. Neben der Sprachförderung der Kinder im Kita-Alltag, waren auch der Schriftspracherwerb oder die Einstellung der pädagogischen Fachkräfte zum Dialekt leitende Fragestellungen.
Während der Aufnahmen war die Kamera beweglich, um der pädagogischen Fachkraft in der Einrichtung zu folgen. Daraus ergibt sich, dass die Aufnahmen einen starken Fachkraftfokus aufweisen, Kinderhandeln untereinander oder ohne Beteiligung der Fachkraft höchstens am Rand sichtbar wird. Das videografische Material wurde zunächst transkribiert. Diese Kombinationstranskripte aus klassischen und Grafiktranskripten sind schematisch angelegt und erlauben einen strukturierten Vergleich unterschiedlicher Interaktionsverläufe. Sie machen besonders deutlich, wann Personen und Dinge von Aktant:innen zu Akteur:innen werden, sich bestehenden Handlungsnetzwerken anschließen oder daraus zurückziehen. Ohne den Rückgriff auf ebenfalls vorhandene Transkripte sprachlicher Äußerungen, ist es der analysierenden Person so leichter möglich, sich von thematischen Bezügen zu lösen und lediglich auf das Handlungsnetzwerk der beobachteten Personen zu fokussieren.

Konkret wurde für die Analyse der Videos im Kleinen die Mikroethnografie (Herrle, 2020), für das Entwickeln von Zusammenhängen innerhalb einer Sequenz, aber auch über Sequenzen hinweg, die Grounded Theory Method (im Folgenden GTM) (Dietrich & Mey, 2018) verwendet. Die Situationen wurden zunächst mit mikroethnografischen Methoden aufgebrochen und sequenziert. So wurde die Schwierigkeit bearbeitet, dass die GTM keine dezidierten Vorgaben für den Umgang mit Videomaterial macht und im Zuge dessen die Komplexität des Datenmaterials für eine strukturierte Analyse nicht hinreichend reduziert wird. Anders gesagt: Interaktion als komplexes Geschehen nicht nur beobachtend zu beschreiben, sondern darüber hinaus ausgehend von ihren kleinsten Einheiten (bspw. Blickrichtung, deiktische Gesten[1]) Bedeutung zu rekonstruieren, muss strukturiert, nachvollziehbar und transparent erfolgen.

Was ist das Ergebnis?

Das folgende Auswertungsbeispiel verdeutlicht, wie sich das Handlungsnetzwerk der Akteur:innen in einer Interaktion entwickelt. Der gewählte Ausschnitt umfasst 17 Sekunden einer Situation des frühpädagogischen Alltags. In der vorgestellten Sequenz sitzt die pädagogische Fachkraft an einem Tisch direkt neben einem Bereich unter einem Podest. Der höhlenartige Bereich hat eine relativ niedrige Decke, was den Zugang für erwachsene Personen erschwert. Die vergleichsweise dunkle Fläche – eine Lampe wird auf dem Video nicht sichtbar – beinhaltet die Nachbildung eines Herds aus Holz in niedriger Höhe. Räumlich dem Herd zugeordnet sind kleine Nachbildungen von Geschirr und Nahrungsmitteln aus Holz und Plastik. Darüber hinaus holen die Kinder, die in diesem Raum handeln, immer wieder Puppen in den Videoausschnitt.

Die Abgrenzung des Bereichs vom Rest des Raums wird einerseits verstärkt durch einen Holzpfosten, der das Podest stützt, andererseits durch den Teppich, der mit dem Rand des Podests abschließt. Gleichzeitig steht der Tisch vor diesem Posten und kontrastiert stark mit der Dingvielfalt im kindlichen Handlungsbereich: Der niedrige Tisch ist leer und wird nur punktuell mit unterschiedlichen Dingen gefüllt. Der Tisch wird zum Grenzraum zwischen dem kindlichen Spielraum und dem restlichen Gruppenraum, mit einer Fachkraft die in ihrer Positionierung wie eine Wächterin der Grenze wirkt. Immer wieder wird die Fachkraft von den im Spielbereich tätigen Kindern angesprochen, bewegt sich aber selbst nie in den Raum unter dem Podest. Ob es bei den Prozessen des Herstellens von Innen und Außen um die Bereiche Kind-Fachkraft, definierter Spielraum – multifunktioneller Gruppenraum oder Kleingruppe – Gesamtgruppe geht, bleibt offen.

Mit der Begrenzung auf ein Grafiktranskript wird die verbale Ebene ausgeblendet, um sich in der Analyse nur auf die Handlungsnetzwerke (Albedyhll, 2021) fokussieren zu können. Dabei sind Kreise Kinder (K1 – K4), das Dreieck ist die Fachkraft (FK) und Rechtecke sind Dinge. Punktlinien zeigen Blickrichtungen, Strichlinien verbale Äußerungen und Volllinien raumgreifende Handlungen. Dabei werden Netzwerke sichtbar: Die Akteur:innen sind mit einander über ihre Handlungen verbunden oder grenzen sich durch das Fehlen derartiger Handlungsbeziehungen voneinander ab. So sind sie eingebunden in Netzwerke, die sie selbst generieren. Durch Pfeile wird die Gerichtetheit der Handlungen sichtbar, sofern sie nicht wechselseitig oder eindeutig ist. In der konkreten Situation hat ein Kind (K1) im Bereich unter dem Podest eine Puppe gefunden. Sie macht Geräusche, die ein Baby imitieren sollen und reagiert auf Lagewechsel oder das Einführen einer Flasche in ihren Mund. K1 bringt die Puppe zur Fachkraft (FK), die feststellt, dass die Puppe vielleicht neue Batterien benötigt. Während FK die Puppe aufschraubt, beteiligen sich wechselnde Kinder an der Situation.

Im dargestellten Verlauf kommt K4 aus dem Spielraum und hält einen Rock um seine Hüfte. Er würde rutschen, wenn K4 ihn nicht festhielte. K4 tritt zur Puppen-Tisch-Situation, ohne sich verbal zu äußern (Abbildung 1). Ihr Blick bleibt auf dem Rock, während sie von K1 und FK angesprochen wird. Der Versuch sowohl von K1 als auch von FK, K4 hier zu einer Selbst-Inklusion in das Netzwerk zu bewegen, bleibt ohne Erfolg. Die verbalen Äußerungen von K1 und FK zielen darauf ab, dass K4 sich ebenfalls an den Handlungen mit dem Ding auf dem Tisch beteiligt.  K4 reagiert nicht auf die Ansprache, sondern verbleibt im eigenen Handlungsnetzwerk zwischen sich und dem Rock. Als K3 aus dem Spielraum heraus in die Interaktion eintritt und K4 ebenfalls anspricht (Abbildung 2), wendet K4 den Blick K3 zu – der Blickkontakt zwischen K3 und K4 wird reziprok. Obgleich K1 K4 wiederholt anspricht und den Blick ebenfalls dem Rock zuwendet, entfaltet sich das dichte Handlungsnetz zwischen K4 und K3. K4, beziehungsweise das Gefüge aus K4 und dem Rock, ist das Zentrum verschiedener Handlungsvektoren.

Als sich K4 neu orientiert (Abbildung 3), nämlich zurück in den abgegrenzten Spielraum, zeigt sich seine zentrale Stellung innerhalb der Vektoren[2] besonders deutlich. K1 und K4 richten ihr verbalsprachliches Handeln weiter an K4 aus, auch wenn dieses sich bereits aus dem Handlungsnetzwerk „Tisch“ zurückzieht. Der Einfluss der Neuorientierung von K4 ist so groß, dass sich K4 und K3 wieder in den Spielraum bewegen und K1 mit FK am Tisch zurückbleibt. Die fehlende Aufnahme von K1 in das Handlungsnetzwerk mit K4 im Zentrum, sorgt nun für die Wiederaufnahme des Handlungsnetzwerks mit FK. FK spricht dabei K1 direkt an, während K1 den Blick auf die Puppe richtet. K1 bringt sich selbst aktiv in die Triade Puppe-FK-Kind ein, gleichzeitig wird er durch FK einbezogen.

Hier zeigen sich Dynamiken in Prozessen von Ex- und Inklusion mit verschiedenen Akteur:innen. K4 bildet mit dem Rock ein so dichtes Handlungsnetzwerk, dass K4 zum Zentrum der Interaktion wird. Die Fokussierung auf den Rock ermöglicht dem Kind, die Teilnahme anderer Akteur:innen am Handlungsnetzwerk zu entscheiden. K4 in- beziehungsweise exkludiert qua Handlung und Blickrichtung die anderen Personen. Gerade K1 erfährt hier Exklusion. FK geht, als ihr verbales Handeln keine Resonanz erfährt, zurück in ihr enges Handlungsnetzwerk mit der Puppe. K1 verbleibt in der Inklusionsbemühung, bis K4 sich mit K3 vom Puppe-Tisch-Gefüge löst und K1 sich wieder auf FK und ihr Handlungsnetzwerk fokussiert. Hier gelingt der erneute Zugang zum Handlungsnetzwerk auch durch Ansprache der FK leicht.

Was kann das für die Praxis bedeuten?

Inklusion und Exklusion geschehen nicht nur in großen Handlungszusammenhängen. In kleinen Interaktionseinheiten zeigen sich Mechanismen aller Akteur:innen, sich selbst und andere ein- oder auszuschließen. Inklusion und Exklusion sind in diesem Verständnis keine wertenden Begriffe, in dem Sinn, dass wir zu jedem Zeitpunkt auf eine alle Akteur:innen inkludierende Situation hinwirken müssen. Ein:e Akteur:in, der:die sich von einer Interaktion abwendet, sich dem Kontakt entzieht, sich nicht beteiligt, kann so Handlungsmacht zeigen. Mit einem Gegenstand ein eigenes Handlungsnetzwerk zu bilden, in der das Kind versunken und selbsttätig ein Ding und dessen Zusammenhänge erkundet, ist ein ebenso bedeutsamer Schritt der Interaktionschoreografie, wie die gemeinsame Abstimmung mit anderen auf einen Gegenstand hin.

Mikroprozesse der Interaktion im materiellen Raum in den Blick zu nehmen, ist ein wertvoller Reflexionsmoment: Welche Dinge laden zur Interaktion ein? Von welchen hätten wir es vielleicht nicht erwartet? Welche Handlungen werden durch die Anordnung der Dinge im Raum ermöglicht oder erschwert? Gelingt es Fachkräften, sich auf Ideen der Kinder zu den Dingen einzulassen? Wie oft führt die Fachkraft in der Interaktion, gibt Dinge vor – und wie oft folgt sie? Wer oder was steht wann im Zentrum einer Interaktion und wer oder was vielleicht nie?
In den Antworten auf diese Fragen finden sich Hinweise darauf, wie die Idee einer „guten“ pädagogischen Praxis in den Handlungen zum Ausdruck kommt. Teil der Vorstellung eines „guten“ Kindergartenkind, einer „guten“ pädagogischen Fachkraft und einer daraus folgenden „guten“ pädagogischen Interaktion, ist das eigenaktive, handlungsmächtige Kind, dessen Impulsen gefolgt und auf denen aufgebaut wird. Wenn sich die Handlungsmacht des Kindes so äußert, dass sie der Idee der „guten“ pädagogischen Praxis – einer gemeinsam zwischen Kind und Fachkraft ko-konstruktiv gestalteten, an Zonen der nächsten Entwicklung und inhaltlichen Bildungszielen ausgerichteten nämlich (KMK, 2022, S. 8-10)  –  zuwiderhandelt, finden Aushandlungsprozesse um die Grenzen des Nutzens solcher normativer Setzungen statt. Das eigenmächtige Kind kann als solches gleichzeitig normgerecht und normwidrig sein. Es schließt (sich) aus, statt (sich) zu inkludieren.

Das Aufbrechen pädagogischer Situationen in kleinste Einheiten ermöglicht durch die Verfremdung der Situation einen neuen Blick auf das Geschehen in der Einrichtung zu gewinnen und so Interaktionskulturen und die eigene Einstellung zu ihnen zu ergründen.

Literaturverzeichnis

Albedyhll, L. v. (2021). Kategorisierung der Dinge des pädagogischen Alltags.
Interaktionsorientierte Benennung unbelebter Akteure. ElFo – Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2021), 3 (2), S. 7-17. DOI: 10.25364/18.3:2021.2.1

Cloos, P., Bensel, J., Haug-Schnabel, G., Wadepohl, H. & Weltzien, D. (2018). Die Dinge und der Raum – einleitende Überlegungen. In D. Weltzien, H. Wadepohl, P. Cloos, J. Bensel & G. Haug-Schnabel (Hrsg.), Materialien zur Frühpädagogik: Band 22. Forschung in der Frühpädagogik (S. 11-30). FEL-Verlag Forschung-Entwicklung-Lehre.

Dietrich, M. & Mey, G. (2018). Grounding Visuals. Annotationen zur Analyse audiovisueller Daten mit der Grounded-Theory-Methodologie. In C. Moritz & M. Corsten (Hrsg.), Handbuch Qualitative Videoanalyse (S. 135-152). Springer VS.

Herrle, M. (2020). Ethnographic Microanalysis. In M. Huber & D. E. Froehlich (Hrsg.), Analyzing Group Interactions: A Guidebook for Qualitative, Quantitative and Mixed Methods (S. 11-25). Taylor & Francis Group.

KMK (2022). Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen (Beschluss der JMK vom 13./14.05.2004 und Beschluss der KMK vom 03./04.06.2004 i. d. F. vom 06.05.2021 (JFMK) und 24.03.2022 (KMK). https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_06_03-Fruehe-Bildung-Kindertageseinrichtungen.pdf

Siraj-Blatchford, I. (2009). Conceptualising progression in the pedagogy of play and sustained sharedthinking in early childhood education: a Vygotskian perspective.
Faculty of Social Sciences -Papers. 1224

Stieve, C. (2008). Von den Dingen lernen: Die Gegenstände unserer Kindheit. Phänomenologische Untersuchungen: Band 27. Wilhelm Fink.

Weidinger, N. (2011). Gestik und ihre Funktion im Spracherwerb bei Kindern unter drei Jahren. DJI. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/672_13595_Weidinger_Gestik.pdf

Weltzien, D., Fröhlich-Gildhoff, K., Wadepohl, H. & Mackowiak, K. (2016). Interaktionsgestaltung im familiären und frühpädagogischen Kontext. Einleitung. In H. Wadepohl, K. Mackowiak, K. Fröhlich-Gildhoff & D. Weltzien (Hrsg.), Psychologie in Bildung und Erziehung. Interaktionsgestaltung in Familie und Kindertagesbetreuung (S. 1-26). Springer Fachmedien Wiesbaden.


[1] Zeigegeste, um die Aufmerksamkeit von Interaktionspartner:innen auf einen realen oder virtuellen Gegenstand zu lenken. Typischerweise wird ein ausgestreckter Finger verwendet, jüngere Kinder nutzen auch den Körper oder die ganze Hand (Weidinger, 2011).

[2] Die Handlungspfeile innerhalb der Netzwerke werden hier Vektoren genannt, weil sie auf Kräfte hinweisen, die zwischen den Akteur:innen wirken. Handlungen haben das Potential, die Handlungen des Gegenübers zu beeinflussen und so das Handlungsnetzwerk zu verändern.