Projekt: Integrationsbegleiterinnen in Kitas

| Franziska Eisenhuth und Maria Günther-Decuns |

Integrationsbegleiterinnen unterstützen Kitas in Zeiten des Fachkräftemangels und fördern Integration. Sie kümmern sich gezielt um eingewanderte Kinder und Familien und geben ihnen die benötigte Hilfe. So können sich Erzieher*innen besser auf ihre pädagogische Arbeit konzentrieren.

Innerhalb von sieben Monaten werden die Integrationsbegleiterinnen in einer Schulung auf die Arbeit in Kitas vorbereitet. Unser Projektteam berät Kommunen in NRW dazu, wie sie die Schulung am besten umsetzen und anbieten können. Gefördert wird das Projekt durch das Familienministerium NRW und die Auridis Stiftung.

Was war unsere Idee? Was war der Ausgangspunkt?

Die AWO OWL mit Sitz in Bielefeld hat über 100 Kindertageseinrichtungen in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL). Mit all ihren unterschiedlichen Diensten gehört sie zu den größten Arbeitgebern der Region im Sozialwesen. Ab 2015 kamen viele geflüchtete Kinder in den Einrichtungen an. Die Kitas der AWO OWL berichteten, dass sie dadurch einen hohen Unterstützungsbedarf haben. Wenn ein Kind erst seit Kurzem in Deutschland lebt und hier zum ersten Mal eine Kita besucht, begegnet es Herausforderungen. Die Familien kennen die deutschen Systeme noch nicht. Es gibt viele Bedingungen und Regeln im Zusammenhang mit einem Kitabesuch. Hinzu kommen häufig Sprachbarrieren. Dies erschwert den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu den Fachkräften, die die Grundlage für eine pädagogische Arbeit ist.

Die AWO OWL ist bekannt dafür, neue Kitakonzepte zu entwickeln, und stellte sich der Herausforderung. Die Leitfrage lautete: Wie kann das Ankommen von eingewanderten Kindern und Familien in den Kitas besser unterstützt und wie gleichzeitig das Kita-Personal entlastet werden? Schnell wurde klar, Menschen mit Integrationserfahrung haben selbst die Erfahrung gemacht, wie es ist, sich in der deutschen Kultur und Gesellschaft einzufinden. Das Projekt der „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ wurde aufgrund dieser Entwicklungen gegründet.  Mit ihren Sprachkenntnissen und ihrem kulturellen Wissen stehen Integrationsbegleiterinnen sowohl Familien als auch Fachkräften zur Seite. Sie übersetzen z.B. bei einem Elterngespräch oder erklären anderen Familien, warum bestimmte Bedingungen, wie z.B. eine Masernimpfung, erfüllt sein müssen.

Abbildung 1: „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ (eigene Darstellung)

Wie wurde die Idee umgesetzt?

Als erster Schritt erstellte die AWO OWL ein Konzept, wie eingewanderte Frauen im Rahmen einer Schulung auf die Arbeit in Kitas vorbereitet werden können. Frauen übernehmen nach wie vor die Care-Arbeit der eigenen Kinder. Dadurch haben sie weniger Chancen, sich beruflich zu betätigen. Das Aufgabenfeld einer Integrationsbegleiterin umfasst je nach Eignung und Interesse:

  • Begleitung von Kindern im pädagogischen Alltag
  • Kommunikationshilfe zwischen Fachkräften und geflüchteten und migrierten Kindern bzw. Eltern mit Unterstützungsbedarf
  • Interkulturelle Vermittlung
  • Durchführung niedrigschwelliger Angebote, z. B. Basteln, Backen, Turnen oder Vorlesen in der eigenen Muttersprache
  • Unterstützung bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten

Die Schulung geht über sieben Monate. Die ersten zwei Monate beschäftigen sich mit den theoretischen Grundlagen der Kita-Arbeit. Danach schließen sich zu der Theorie wöchentliche Hospitationen in einer Kita für zwei Monate an. In den letzten drei Monaten absolvieren die Teilnehmerinnen ein Praktikum in einer Kita. Pro Schulungsrunde nehmen 14 – 25 Frauen teil.

Um die Schulung so niedrigschwellig wie möglich zu halten, gibt es nur wenige Anforderungen:

  1. Integrationserfahrung durch Migration oder Flucht
  2. Mündliche Deutschkenntnisse, die eine Verständigung im Alltag ermöglichen. Es wird kein spezielles Deutschzertifikat gefordert.
  3. Interesse und Eignung für die Arbeit mit Kindern

Die erste Erprobung einer Schulungsrunde fand 2017 in den Kitas der AWO OWL statt. Im Jahr darauf wurde die Schulung für alle Träger in der Region geöffnet. 2019 erteilten das Familienministerium NRW und die Auridis Stiftung den Auftrag, die Schulung in NRW zu verbreiten. Seitdem berät und begleitet das Projektteam der AWO OWL Kommunen, um die Schulung vor Ort zu implementieren und durchzuführen. Zu den relevanten Akteur*innen gehören Kitaträger, Bildungsträger sowie Jobcenter und Agenturen für Arbeit. Letztere finanzieren den Teilnehmerinnen die Schulung durch einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein. Idealerweise kommt es zu einer Anstellung nach der Schulung. Die Arbeitszeit einer Integrationsbegleiterin wird mit dem Träger je nach Bedarf individuell vereinbart. In den meisten Fällen arbeitet sie 20 Stunden in der Woche. Aber auch Vollzeit ist möglich, oder dass eine Integrationsbegleiterin zwischen zwei oder drei Kitas pendelt.

Die Aufgaben richten sich auch wie in der Schulung nach der Eignung der Integrationsbegleiterin und dem Bedarf der Kita. Grundsätzlich gilt, dass eine Integrationsbegleiterin im allgemeinen Kitabetrieb die gesamte Gruppe unterstützt. Dazu gehört u. a. den Kindern zu helfen beim Umziehen, beim Spielen begleiten oder eigene Spiel- bzw. Kreativangebote machen. Eine Integrationsbegleiterin hat keine Aufsichtspflicht und arbeitet immer unter Anleitung einer Fachkraft. Individuelle Aufgaben ergeben sich aus den Bedürfnissen einzelner Kinder oder Eltern. Wenn ein Kind noch kein Deutsch kann, kann die Integrationsbegleiterin in der Erstsprache die Eingewöhnung in der Kita begleiten. Bei Elterngesprächen mit Kita-Fachkräften hilft die Integrationsbegleiterin durch Sprachmittlung. Themen umfassen die kindliche Entwicklung sowie alltägliche Dinge wie das Erklären einer „Matschhose“. Darüber hinaus kann die Integrationsbegleiterin Formulare für Transferleistungen übersetzen.

Im Gruppenkontext leistet die Integrationsbegleiterin spielerisch Kulturvermittlung. Sie liest oder singt z. B. in ihrer Herkunftssprache vor. Auch wenn nicht alle Kinder die einzelnen Wörter verstehen, spüren sie die Einzigartigkeit einer Sprache durch Klang, Rhythmus und Intonation. Des Weiteren können alle gemeinsame landestypische Gerichte zubereiten und erfahren so etwas über die Bräuche einer anderen Kultur. Unabhängig davon, ob eine Integrationsbegleiterin dieselbe Herkunft hat oder dieselbe Sprache spricht wie die eingewanderten Kinder und Familien, kann sie eine Identifikationsfigur für alle mit Migrationshintergrund darstellen. Es gibt den Familien ein Gefühl von Sicherheit und des Willkommenseins, wenn Teammitglieder der Kita ähnliche Erfahrungen wie sie im Rahmen ihres Ankommens in Deutschland erlebt haben.

Was war das Ergebnis? Wie war die Resonanz?

Eine externe Evaluation durch Interval bestätigt, dass Integrationsbegleiterinnen eine Bereicherung sowohl für zugewanderte Kinder und ihre Familien als auch Fachkräfte in den Einrichtungen sind. Die befragten Integrationsbegleiterinnen beobachteten positive Veränderungen bei den Kindern, die sie auf ihre Arbeit zurückführten: Die Kinder wurden als sicherer, offener und vertrauensvoller als zu Beginn ihres Einsatzes in den Kitas beschrieben. Die Nutzung der eigenen Erstsprache durch die Integrationsbegleiterin erleben die Kinder aus Sicht befragter Eltern, Einrichtungsleitungen und Integrationsbegleiterinnen als positiv und vertrauensbildend. Eine Integrationsbegleiterin berichtet z. B.: „Ja, wenn ich mit einem Kind auf meine Sprache gesprochen habe. Das Kind wird offener, hat Vertrauen, hat Spaß beim Spielen, Essen, Singen, Tanzen und Schlafen.“ Eine andere schreibt: „Ich bemerkte die Freude und das Vertrauen der Kinder, eine Situation in ihrer Muttersprache zu erklären.“

Vonseiten der Fachkräfte kommen immer wieder persönliche Rückmeldungen aus den Kitas, dass Integrationsbegleiterinnen insbesondere im Bereich der Sprachmittlung eine große Hilfe sind. Eingewanderte Kinder und Familien fühlen sich wohler und können besser in die Angebote der Kita einbezogen werden.

Knapp 66 Prozent der Teilnehmerinnen finden direkt eine Anstellung nach der Schulung. Womit niemand gerechnet hat: 10 Prozent der Teilnehmerinnen der Schulungsrunden in OWL gehen nach der Schulung in die Ausbildung als Erzieherin oder Kinderpflegerin. Weitere 12 Prozent planen eine Ausbildung. Sie müssen evtl. noch Abschlüsse nachholen bzw. anerkennen lassen oder warten, bis ihre eigenen Kinder größer sind. Dadurch unterstützt diese Schulung nicht nur im Kita-Alltag, sondern sie leistet auch einen Beitrag für die langfristige Gewinnung von weiteren Fachkräften. Seit 2023 sind die Integrationsbegleiterinnen Teil des Sofortprogramm Kita der Landesregierung NRW, um dem Fachkräftemangel in Kitas besser zu begegnen. Ein Monitoring soll ab 2024 den mittel- und langfristigen beruflichen Verbleib von den Integrationsbegleiterinnen erfassen.

Was kann das für Forschung und Praxis bedeuten?

Kinder sind mit Blick auf ganz unterschiedliche Differenzlinien vielfältig und Kindertageseinrichtungen müssen dieser Vielfalt Rechnung tragen. Dabei lässt sich Diversität nur begrenzt in einem Workshop lernen. Wenn Menschen mit diversen Lebensläufen Eingang in die Kitateams finden, wird Diversität gelebt. Dafür braucht es eine Offenheit aller Fachkräfte. Natürlich sind Zahlen und Statistiken maßgeblich, um den Erfolg eines Projektes zu messen. Nichtsdestotrotz lässt sich nicht alles quantifizieren. Von Migrant*innen wird in Deutschland erwartet, dass sie sich so schnell wie möglich integrieren. Häufig wird damit aber eine Anpassung an das deutsche System gemeint. Der eigene Erfahrungsschatz aus dem Herkunftsland spielt meist keine Rolle mehr. Das Besondere am Projekt „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ ist, dass die Teilnehmerinnen aus ihrer eigenen Integrationserfahrung schöpfen können. Sie können daher auf besondere Weise vermitteln und erhalten dafür Wertschätzung. Diese Erfahrung und Kompetenzen fehlen häufig nicht migrierten Fachkräften trotz bester Absichten. Auch einheimische Kinder müssen lernen, sich auf Vielfalt einzustellen. Daher profitieren durch die Kulturvermittlung der Integrationsbegleiterin alle Kinder – mit oder ohne Migrationshintergrund.

Projektwebsite: AWO OWL | Integrationsbegleiterinnen in KiTas (integrationsbegleiterinnen-in-kitas.de)