Inklusion und Diversität aus Sicht von Kita-Leitungen

| Nina Hogrebe, Valerie Bergmann & Madita Timmermann |

An Kindertageseinrichtungen (Kitas) wird die Erwartung herangetragen, zum Abbau von Bildungsungleichheit beizutragen, Heterogenität anzuerkennen und Inklusion zu fördern (vgl. Betz & Bischoff 2017). Der Elementarbereich bietet dabei grundsätzlich gute Voraussetzungen für Inklusion, denn hier werden bereits ein Großteil der Kinder mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, aus unterschiedlichen sozioökonomischen Kontexten sowie Mädchen und Jungen gemeinsam betreut. Zugleich gibt es hinsichtlich der Verteilung von Kindern mit Diversitätsmerkmalen auf die einzelnen Bildungseinrichtungen große Unterschiede. Entmischungsprozesse, die in unterschiedlichen Zusammensetzungen der Kitas zum Ausdruck kommen, verweisen darauf, dass Bildungszugänge nach wie vor nicht gleichermaßen gewährt werden (vgl. Hogrebe et al. 2021a).

Was will das Projekt? Was ist das Phänomen?

Prengel (2016) formuliert „Desegregation in der Lebensumwelt“ (S. 63) als einen Auftrag an institutionelle Bildungseinrichtungen. Neben der Anforderung, den unterschiedlichen Lebenshintergründen, Bildungsvoraussetzungen und Bildungsbedürfnissen von Kindern in einer Kita Rechnung zu tragen (vgl. Gomolla 2010, S. 8f.), geht es dabei auch darum, die gesellschaftliche Vielfalt in den Organisationen abzubilden (vgl. Toepfer 2020). Kita-Leitungen kommt dabei eine entscheidende Schlüsselposition zu, denn sie tragen nicht nur eine Mitverantwortung für die Herstellung einer Passung von institutionellen Rahmenbedingungen und individuellen Bedürfnissen der Kinder im Hinblick auf die Anerkennung von Diversität (vgl. Kron 2010), sondern sind auch in Platzvergabeprozesse eingebunden, die zum Ausschluss bestimmter Familien und Kinder führen können (vgl. Hogrebe et al. 2021b; Mierendorff & Nebe 2022). Bislang ist allerdings wenig darüber bekannt, welche Perspektive Kita-Leitungen auf die damit verbundenen Anforderungen haben.

Wie sind wir vorgegangen?

Studierende des Bachelorstudiengangs „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der HAW Hamburg haben im Wintersemester 2021/22 im Rahmen des Wahlpflichtseminars „Diversität und Vielfalt im Elementarbereich“ leitfadengestützte Experteninterviews mit Praxisvertreter:innen geführt, um empirische Einblicke in deren Wahrnehmung der mit Inklusion verbundenen Anforderungen im Feld, Begriffsverständnisse und Praktiken zu gewinnen (vgl. Meuser & Nagel 2013). Als offenes und rekonstruktives Verfahren erfasst diese Interviewform mithilfe von erzählgenerierenden Fragen und Raum für freie Erzählpassagen mit eigener Relevanzsetzung die Wissensbestände von Expert:innen (vgl. Liebold & Trinczek, 2009). Die Expert:innen sind in diesem Fall Kita-Leitungen oder mit Leitungsaufgaben beauftragte Fachkräfte, die über ein spezifisches Wissen zu Umgangsstrategien mit Inklusion und Diversität in Kitas verfügen. Die Interviewpartner:innen wurden im Rahmen der studienbegleitenden Praktika durch die Studierenden selbst akquiriert. Den Leitfaden haben die Lehrenden konzipiert und die Studierenden haben jeweils unter Anleitung ein Interview geführt. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und nach den Regeln von Kuckartz (2016) transkribiert. Auf Basis der Transkripte wurden die Interviews durch die Lehrenden und eine studentische Hilfskraft nach Kuckartz et al. (2008) ausgewertet. Insgesamt gehen in die Analysen Interviews mit zehn Fachkräften in Kitas ein, die eine Tätigkeit mit Leitungsfunktion inne hatten.

Was ist das Ergebnis?

Ebenso wie im wissenschaftlichen Diskurs lässt sich auch innerhalb der im Seminar geführten Interviews mit Kita-Leitungen keine einheitlichen Verständnisse der Begriffe Diversität, Inklusion, Vielfalt und Heterogenität finden. Das Interviewmaterial lässt erkennen, dass die Begriffe nicht trennscharf gebraucht werden. Einige Begriffe werden synonym verwendet bzw. von den Befragten explizit gleichgesetzt. So werden insbesondere keine Unterschiede zwischen den Begriffen „Diversität“ und „Vielfalt“ gemacht:

„[I]ch finde Diversität ist einfach, dass man unterschiedlich sein kann und Vielfalt auch, dass es viele verschiedene Menschen mit vielen verschiedenen Hintergründen gibt, und dass alle aber gleichwertig sind.“ (Interview 8, Absatz 33).

Neben Äußerungen, denen ein auf Behinderung bezogenes Inklusionsverständnis zugrunde liegt, , zeigt sich insgesamt ein eher breites Verständnis von Inklusion, das sich auf jegliche Diversitätsmerkmale bezieht (vgl. Lindmeier & Lütje-Klose 2015). Damit verbunden ist meist eine positive Sichtweise auf die Unterschiedlichkeit der Menschen, die wertgeschätzt, beziehungsweise als explizit erwünscht und wichtig angesehen wird. Mitunter wird diese Sichtweise durch Beschreibungen über das zugrundeliegende Bild vom Kind untermauert:

„Jedes von uns anvertraute Kind ist ein einzigartiger, wertvoller Teil des Ganzen. Dies gilt unabhängig von körperlichen, geistigen, sozialen, kulturellen oder sonstigen Voraussetzungen“ (Interview 2, Absatz 11).

Diese Einstellung gegenüber allen Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft, werde oftmals von den Kindern vorgelebt:

„aber den Kindern ist es eigentlich relativ egal, wo sie herkommen, wichtig ist für uns immer, dass wir eine Gemeinschaft sind und alle so annehmen und aufnehmen, wie sie halt so sind.“ (Interview 4, Absatz 10).

Der Begriff der Inklusion ist zudem häufig mit einem Fokus auf Chancengleichheit und -gerechtigkeit assoziiert, der die „bestmögliche individuelle Förderung“ (Interview 2, Absatz 11) aller Kinder impliziert und fordert, diese „und ihre Familien dort abzuholen, wo sie gerade stehen“ (Interview 12, Absatz 12). Die Kinder, die auf besondere Fördermaßnahmen angewiesen sind, sollen die nötige Unterstützung erhalten. Hierzu wird vermehrt die Zusammenarbeit mit Externen (z.B. Heilpädagog:innen oder Psycholog:innen) und den Eltern der Kinder betont. Zugleich wird ein Spannungsfeld deutlich, dass die Unterschiede der Kinder einerseits in der pädagogischen Arbeit berücksichtigt werden müssen, hierdurch aber andererseits auch wieder bestimmte Differenzen konstruiert werden können:

„Um mich damit auseinandergesetzt und halt festgestellt, dass es wirklich/ es ist ein Thema, das man nicht zum Thema machen sollte, wenn es nicht ein Thema ist. […]. Also wenn wir anfangen darüber zu sprechen, wieso du anders aussiehst als du, dann erschaffst du das Problem ja schon nur. Also es ist mehr man muss es leben.“ (Interview 3, Absatz 19).

Die aktuelle Situation von Kitas in Bezug auf damit verbundene Anforderungen für die eigene Arbeit wird unterschiedlich wahrgenommen. Neben einer grundsätzlich positiven Einstellung hinsichtlich Diversität als wünschenswertes Ziel innerhalb der Gesellschaft oder ihrer Einrichtungen benennen die Befragten auch Herausforderungen, die hierdurch entstehen. Zum einen äußern einzelne Befragte Bedenken in Bezug auf Kinder mit zum Beispiel körperlichen Beeinträchtigungen und sind unsicher, ob sie mit dieser Art von Anforderungen in ihrer Einrichtung umgehen könnten:

„Also, wir hatten noch kein Kind mit einer schwereren Behinderung, ich weiß auch nicht, ob wir das leisten könnten. Ich glaube nicht.“ (Interview 8, Absatz 26)

Vereinzelt werden Probleme in Bezug auf die Kommunikation und Verständigung bei unterschiedlichen Herkunftsländern und Kulturen angeführt. Hinzu kommen fehlende personelle Voraussetzungen, die den Umgang mit heterogenen Gruppen und Kindern, die besondere Fördermaßnahmen benötigen, erschweren können. Den gestiegenen Anforderungen und Erwartungen stehen laut der Befragten unzureichende personelle Mittel sowie fehlende Unterstützung durch die Politik gegenüber:

„[I]ch würde mir wünschen, dass das Thema nicht nur auf die Kitas abgewälzt wird, sondern auch die nötige, und das ist tatsächlich auch eine finanzielle Unterstützung, dass diese auch von der Politik getragen wird“ (Transkript 11, Absatz 41).

Neben dem Umgang mit unterschiedlichen Lebenshintergründen, Bildungsvoraussetzungen und Bildungsbedürfnissen von Kindern in einer Kindertageseinrichtung stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und wie Leitungen die Zusammensetzung ihrer Einrichtungen beeinflussen. Manche Befragte äußern, dass sie gerne etwas durchmischter wären, und bedauern fehlende Handlungsspielräume:

„Wir hätten gerne ausländische Familien natürlich, weil das die kulturelle Vielfalt bereichert und wir sind immer froh, wenn wir mal eine haben, aber in der Regel wollen die nicht zu uns kommen. Ich weiß nicht, warum nicht.“ (Interview 8, Absatz 18)

Ein von den Leitungen genannter Grund dafür ist die Lokalität des Einzugsbereichs sowie die damit verbundene Sozialstruktur des Stadtteils. Aber auch die konzeptionelle Ausrichtung der Einrichtungen beeinflusse die Zusammensetzung der Kita, da sie bestimmte Familien mehr oder weniger ansprechen bzw. abschrecken würden:

„Nein, ich glaube, das liegt daran, dass die ein anderes Konzept haben und dass, ja, wie soll ich es sagen, ich weiß nicht so genau, warum sich zum Beispiel ausländische Familien hier nicht anmelden. Keine Ahnung. Möglicherweise, weil sie nicht so viel Interesse an der Gemeinschaft haben, so, also, keine Ahnung“ (Interview 8, Absatz 56)

Dabei ist auffällig, dass diesbezüglich eine einseitige Zuschreibung von Verantwortung erfolgt, die ausschließlich auf Seiten der Eltern verortet wird, während die Kitas als eher passiv und machtlos bezüglich der elterlichen Bildungswahlentscheidungen bzw. der sie umgebenden Sozialstruktur erscheinen. Eine Eigenverantwortung auf Seiten der Einrichtungen, aktiv bestimmte Familien zu rekrutieren oder ein Konzept zu erstellen, dass auch für andere Adressat:innen zugänglich ist, kommt hier nicht zum Ausdruck.

Darüber hinaus spielen unterschiedliche Verfahren der Anmelde- und Platzvergabeprozesse eine Rolle. Diese können niedrigschwellig sein oder durch komplexe Anforderungen Zugangsbarrieren darstellen. Als eine mögliche Barriere wird diesbezüglich die Sprache genannt, die eine Bewerbung um einen Kitaplatz erschweren kann:

„[D]as kann natürlich (.) auch ein (..) Hindernis sein für Familien die, die Eltern, die vielleicht nicht lesen können oder kein Deutsch sprechen. Ja (lacht), dass fällt mir jetzt erst auf, dass es dann natürlich schwierig ist, sich da um einen Kitaplatz zu kümmern“ (Interview 3, Absatz 49)

Exklusion kann auch über die Vergabe der Betreuungsplätze stattfinden: Bei zu geringer Verfügbarkeit und zu hoher Nachfrage regeln manche Einrichtungen die Vergabe über eine Warteliste und/oder nach Anmeldezeitpunkten. Die Vergabe von zur Verfügung stehenden Plätzen kann aber auch entlang bestimmter Kriterien wie dem Alter oder dem Geschlecht sowie ihrer Passung in die jeweils bereits vorhandene Gruppenstruktur erfolgen. In mehreren Interviews verweisen die Leitungskräfte auf die Stundenanzahl der in Hamburg bestehenden Kita-Gutscheine: Kinder mit einer hohen Anzahl an zu betreuenden Stunden werden dabei bevorzugt aufgenommen. Eine Rolle würden auch Geschwisterkinder spielen, die die Einrichtung bereits besuchen. Manche der Einrichtungen würden besonders auf eine Passung zwischen Kita und Eltern achten. Insbesondere Leitungen von Elterninitiativen beschreiben, dass sie auf Unterstützung und Hilfe durch die Eltern zum Erhalt der Kita angewiesen sind und deshalb aufwändigere Aufnahmeverfahren mit intensiven Vorgesprächen umsetzen:

„Wir würden wahrscheinlich keinen Platz vergeben an Eltern, die ihr Kind einfach nur betreut haben wollen und sich nicht einbringen wollen, weil dann wird niemand froh.“ (Interview 8, Absatz 46)

Problematisiert werden in diesem Kontext zudem die sprachlichen Fähigkeiten von Eltern als ein relevanter Faktor, der das Engagement von Eltern in der Elterninitiative beeinflusse.

Was kann das für die Praxis bedeuten?

Die Anerkennung von und der kompetente Umgang mit Diversität ist ein relevanter Aspekt eines entwicklungsförderlichen Umfelds für Kinder in Kitas (vgl. Spensberger & Taube 2022 S. 235). Die von den Studierenden geführten Interviews mit Leitungskräften lassen erkennen, dass diese eine positive Grundhaltung der Thematik gegenüber aufweisen. Hinsichtlich des Umgangs mit den damit verbundenen Herausforderungen deutet sich demgegenüber an, dass die Umsetzung entsprechender inklusiver und diversitätssensibler Praktiken auf strukturelle Herausforderungen trifft und die Leitungskräfte sich hier mehr Ressourcen und Unterstützung wünschen. Insbesondere auch mit Blick auf die aktive Herstellung einer diversen Kita-Zusammensetzungen ist zu erkennen, dass die Befragten sich eher zurückhaltend äußern und entweder nur wenig Handlungsspielraum sehen oder Zugangsbarrieren thematisieren, die aufgrund externer Strukturen oder Annahmen über und Zuschreibungen an bestimmte Familien bestehen und nicht im Verantwortungsbereich der Kitas verortet werden. Dies wäre im Hinblick auf den gesellschaftlichen Auftrag von Kitas zu diskutieren.

Literaturverweise

Betz, T. & Bischoff, S. (2017). Heterogenität als Herausforderung oder Belastung? Zur Konstruktion von Differenz von frühpädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen. In Stenger, U., Edelmann, D., Nolte, D. & Schulz, M., Diversität in der Pädagogik der frühen Kindheit: Im Spannungsfeld zwischen Konstruktion und Normativität (1. Aufl., S. 101–118). Beltz Juventa.

Gomolla, M. (2010). Kinderwelten. Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Abschlussbericht über die zweite Erhebung im Frühjahr 2008 und zusammenfassende Beurteilung. Helmut-Schmidt-Universität.

Hogrebe, N., Pomykaj, A. & Schulder, S. (2021a). Segregation in early childhood education and care in Germany: Insights on regional distribution patterns using national educational studies. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 16(1), 36–56. https://doi.org/10.3224/diskurs.v16i1.04

Hogrebe, N., Mierendorff, J., Nebe, G. & Schulder S. (2021b). Platzvergabeprozesse in Kindertageseinrichtungen: Aufnahmekriterien aus Sicht pädagogischer Fachkräfte unter Berücksichtigung der Trägerorganisationen. In L. Brockmann, C. Hack, A. Pomykaj & W. Böttcher (Hrsg.), Soziale Ungleichheit im Bildungs- und Sozialwesen. Reproduktion und Legitimierung (S. 90–113). Beltz Juventa.

Kron, M. (2010). Ausgangspunkt: Heterogenität. Weg und Ziel: Inklusion? Zeitschrift für Inklusion, 4(3).

Kuckartz, U. (2016). Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung (3. Auflage) (S. 166–169). Beltz Juventa.

Kuckartz, U., Dresing, T., Rädiker, S. & Stefer, C. (2008). Qualitative Evaluation: der Einstieg in die Praxis (2., aktualisierte Aufl.).VS Verl. für Sozialwissenschaften.

Liebold, R. & Trinczek, R. (2009) Experteninterview. Handbuch Methoden der Organisationsforschung: quantitative und qualitative Methoden (1. Aufl.).VS Verl. für Sozialwissenschaften.

Lindmeier, Ch. & Lütje-Klose, B. (2015). Inklusion als Querschnittsaufgabe in der Erziehungswissenschaft. Erziehungswissenschaft. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 26(51), 7–16.

Mierendorff, J., & Nebe, G. (2022). Kitaplatzvergabe ist segregationsrelevant. Jugendhilfereport 02/22, 10–12.

Prengel, A. (2016). Bildungsteilhabe und Partizipation in Kindertageseinrichtungen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, 47.

Spensberger, F. & Taube, V. (2022). Diversität in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. In D. Turani, C. Seybel & S. Bader (Hrsg.), Kita-Alltag im Fokus – Deutschland im internationalen Vergleich. Ergebnisse der OECD-Fachkräftebefragung 2018 (S. 225–262). Beltz Juventa.

Toepfer, G. (2020). Diversität. Historische Perspektiven auf einen Schlüsselbegriff der Gegenwart. ZZF – Centre for Contemporary History: Zeithistorische Forschungen. https://doi.org/10.14765/ZZF.DOK-1767